Der Mars bebt

Etwa 14 Monate nach der Landung der NASA-Mission InSight auf dem Roten Planeten liegen die ersten wissenschaftlichen Ergebnisse vor

Insgesamt 174 wahrscheinliche Marsbeben hat das Seismometer SEIS der NASA-Mission InSight in den ersten zehn Monaten seit seiner Inbetriebnahme Ende Februar 2019 gemessen, im Mittel also etwas mehr als ein Beben alle zwei Tage. Die Daten, die Forschende unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Göttingen heute in insgesamt sechs Artikeln veröffentlichen, liefern den ersten umfassenden Beweis dafür, dass neben der Erde und dem Mond auch der Mars seismisch aktiv ist. In Bezug auf Häufigkeit und Stärke der Beben steht der Rote Planet jedoch weit hinter der Erde zurück. Keines der Beben erreichte eine Stärke von mehr als 4. Auf der Erde sind solche Beben ohne Instrumente kaum wahrnehmbar. Doch selbst die schwachen Marsbeben erlauben erste Aussagen über den Aufbau des Himmelskörpers.

InSight ist die erste Mission, die aussagekräftige seismische Messungen auf dem Mars vornimmt. Zwar trugen bereits Viking 1 und 2, die 1976 als erste Landesonden erfolgreich auf dem Mars aufsetzten, Seismometer an Bord. Doch diese waren fest mit der Landeeinheit verbunden und zeichneten – wie sich später herausstellte – nur auf, wie der Marswind die Landesonden durchrüttelte.

Seit dem 26. November 2018 hat der Mars nun wieder seismologisch-interessierten Besuch. Und dieses Mal verläuft die Messkampagne, die zunächst auf zwei Jahre ausgelegt ist, deutlich besser. Das InSight-Seismometer SEIS wurde mithilfe eines Greifarms im Marssand abgesetzt; über Kabel bleibt es mit der Landesonde verbunden. Ein übergestülpter Windschutz mindert die Umwelteinflüsse. Ende Februar 2019 nahm SEIS, zu dessen Entwicklerteam auch das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) zählt, seinen wissenschaftlichen Betrieb auf.

Seitdem hat SEIS durchschnittlich in mindestens jeder zweiten Marsnacht Beben gemessen. „Tagsüber frischen die Winde auf dem Mars auf. Obwohl SEIS hochempfindlich misst und vor direktem Wind geschützt ist, lassen sich sehr schwache Beben dann kaum ausmachen“, sagt John-Robert Scholz vom MPS, der zusammen mit den anderen Mitgliedern des Marsquake Service die Marsbeben auswertet. Insgesamt hat das Team bis zum 30. September 2019 genau 174 wahrscheinliche Beben in den Messdaten aufgespürt. Bei 150 von ihnen waren nur Wellen zu messen, die sich in der obersten Gesteinsschicht des Mars – der Kruste – ausbreiten. Solche Beben sind auch von der Erde bekannt. Informationen über die tiefe Struktur des Planeten können sie nicht liefern.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Mars – ähnlich wie die Erde − zwiebelartig aufgebaut ist. Auf den Kern im Innern folgt ein Gesteinsmantel und ganz außen eine Kruste. „Es gibt viele Theorien und Modelle, welche die Dicke und Zusammensetzung dieser Schichten beschreiben“, sagt Ulrich Christensen, Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, der zum Leitungsteam des SEIS-Instrumentes gehört. „Gewissheit können jedoch nur seismologische Messungen vor Ort bringen.“

Bei einem Erdbeben entstehen typischerweise Wellen, die sich entlang der Oberfläche des Planeten ausbreiten, sowie Druck- und Scherwellen, die sein Inneres durchqueren. Sie durchlaufen die Schichten mit verschiedenen Geschwindigkeiten und werden an ihren Grenzen gebrochen und reflektiert. Wann und wo die Wellen die Oberfläche erreichen, erlaubt deshalb Rückschlüsse auf den inneren Aufbau des Planeten. Aus der Analyse von Marsbeben dürften sich ebensolche Informationen ableiten lassen.

24 der gemessenen Beben durchlaufen den Gesteinsmantel des Mars und weisen ähnliche Charakteristika auf wie Erdbeben: Im Seismogramm zeigen sich erst Druckwellen, gefolgt von Scherwellen. Im Vergleich zu Erdbeben klingen die Signale langsamer ab. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Wellen in der Marskruste stärker gestreut werden. Zudem fehlen die typischen Oberflächenwellen. Möglicherweise liegen die Ausgangsorte der Beben sehr tief.

Insgesamt sind alle gemessenen Beben schwach. Keines von ihnen erreichte eine Magnitude von mehr als 4. Erdbeben dieser Stärke treten auf unserem Planeten mehr als tausendmal pro Jahr auf und lassen sich ohne Hilfsmittel kaum wahrnehmen. „Wir hatten erwartet, dass der Mars weniger aktiv ist als die Erde“, so Christensen. Anders als die Erde besteht der Mars wahrscheinlich aus nur einer zusammenhängenden tektonischen Platte. Auf der Erde hingegen erzeugen Spannungen, die sich zwischen angrenzenden Platten aufbauen und dann lösen, den Großteil der starken Beben.

„Auf dem Mars dürfte unter anderem die Abkühlung des Planeten für Beben verantwortlich sein“, sagt Christensen. Beben, deren Ursprung innerhalb einer Platte liegen, sind auch für die Erde bekannt. Diese Beben sind typischerweise eher schwach. Rechnet man die Marsbeben, die InSight an seinem Standort gemessen hat, auf den gesamten Planeten hoch, ergibt sich eine nur leicht geringere Häufigkeit solcher intratektonischer Beben als auf der Erde.

Die Messdaten vom Mars zu interpretieren, ist ausgesprochen schwierig: Einerseits sind die Signale der Beben schwach und gehen leicht im Rauschen untergehen, andererseits ist SEIS notgedrungen ein Einzelkämpfer. „Auf der Erde arbeiten Seismometer an verschiedenen Standorten im Verbund“, erklärt Max-Planck-Forscher John-Robert Scholz. Dadurch lässt sich verlässlich nachvollziehen, welchen Weg die Erdbebenwellen durchlaufen haben; Stärke und Epizentrum des Bebens lassen sich mit hoher Genauigkeit bestimmen.

Solche Informationen aus den Messdaten nur eines Instrumentes abzuleiten, erfordert völlig neue Methoden und Ansätze. „Es ist außerordentlich spannend mitzuerleben, wie sich eine Wissenschaft, die auf der Erde längst etabliert ist, unter Marsbedingungen gerade neu erfinden muss“, sagt Scholz.

So ließ sich bisher bei nur drei Beben die Lage des Epizentrums bestimmen, bei zehn weiteren immerhin der Abstand des Epizentrums zur Landeeinheit. Die drei gesicherten Epizentren finden sich in der Region Cerberus Fossae, einer vulkanisch entstandenen, vergleichsweise jungen Ebene mit vielen Gräben und Brüchen. Sie liegt etwa 1600 Kilometer von der InSight-Landestelle in der Ebene Elysium Planitia entfernt. Auch einige der schwerer zu interpretierenden Beben könnten dort ihren Ursprung haben.

Um die Eigenschaften der Marskruste besser zu verstehen, nutzte das SEIS-Team auch Signale, die SEIS aufzeichnete, während sich das InSight-Instrument HP3 versuchte, in den Boden zu hämmern. Das oft als „Maulwurf“ bezeichnete Instrument soll seine Temperatursensoren bis zu fünf Meter tief in den Marsboden treiben, um so Wärmefluss und -leitfähigkeit zu bestimmen. Obwohl dieses Ziel bisher nicht erreicht wurde, haben sich die Hammerschläge selbst als nützlich erwiesen. Schließlich ist der Zeitpunkt ihres Auftretens genau bekannt.

Die Analyse dieser Daten und weiterer Beben ergibt, dass die oberen acht bis elf Kilometer der Kruste stark zerklüftet sind. Zudem sprechen die Messergebnisse dafür, dass sich dort kleinere Mengen von Fluiden wie etwa möglicherweise salziger Lösungen finden.

Damit auch Aussagen über das tieferliegende Innere des Mars möglich werden, hoffen die Forscherinnen und Forscher für die nächsten Monate auf ein stärkeres Beben. Auf der Erde kommt es gelegentlich auch innerhalb einer tektonischen Platte zu heftigen Erschütterungen. Die so ausgelösten Wellen dringen tiefer in den Planeten ein − mit etwas Glück sogar bis zum Kern.

BK / HOR

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