Von kalt zu heiß: Am magnetischen Übergang in der Atmosphäre der Sonne
Forschungsbericht (importiert) 2014 - Max Planck Institut für Sonnensystemforschung
Erscheint die Sonne im sichtbaren Licht als gleichmäßige Scheibe, offenbart sie im Röntgenlicht ihre komplexe magnetische Natur. Besonderes physikalisches Interesse gilt dabei einem Gebiet nur wenige 1000 km oberhalb der Sonnenoberfläche, das durch ein enges Wechselspiel zwischen Magnetfeld und Plasma bestimmt ist. Diesem magnetischen Übergang ist das weltraumgebundene Sonnenobservatorium IRIS (Interface Region Imaging Spectrograph) gewidmet. Hier werden einige Ergebnisse vorgestellt, die ein neues komplexeres Bild der Atmosphäre der Sonne zeichnen und eine Vielzahl neuer Fragen aufwerfen.
Die Sonne ist von einer Atmosphäre umgeben, in der die Temperaturen im Mittel von etwa 5800 K an der Oberfläche nach außen hin auf mehrere Millionen K ansteigen. Dabei unterscheidet sich die Atmosphäre nahe der Oberfläche der Sonne, die Photosphäre, fundamental von der äußeren Atmosphäre, der Korona. Dieser Unterschied manifestiert sich in der grundlegend verschiedenen Rolle, die jeweils das Magnetfeld spielt. In der Photosphäre ist das Magnetfeld in Strukturen unterschiedlicher Größe konzentriert. Am oberen Ende der Skala finden sich die Sonnenflecken, die Größen vergleichbar dem Durchmesser der Erde erreichen können – und doch nur Millionstel der sichtbaren Hemisphäre der Sonne abdecken. Das untere Ende der Skala ist allein durch das Auflösungsvermögen der leistungsfähigsten Sonnenteleskope begrenzt. Trotz des zahlreichen Vorkommens dieser kleinen Magnetfeldkonzentrationen ist im Mittel in der Photosphäre die Energiedichte des Magnetfeldes signifikant geringer als die thermische Energiedichte des Plasmas, also des größtenteils ionisierten Gases der Sonnenatmosphäre.
In der Korona der Sonne hingegen sind diese Verhältnisse umgekehrt – energetisch dominiert hier das Magnetfeld gegenüber dem Plasma. Dabei füllt das Magnetfeld praktisch den gesamten Raum und das Plasma kann sich nur entlang der Magnetfeldlinien frei bewegen. Quer dazu können die geladenen Teilchen des Plasmas nicht wandern, und bleiben so auf den Feldlinien gefangen. Daher ergeben sich Strukturen, die ähnlich wie Eisenfeilspäne im Schülerversuch den Verlauf der Magnetfeldlinien anzeigen (Abb. 1).

Abb. 1: Vergleich von Photosphäre und Korona. An der Sonnenoberfläche (links) in der Photosphäre zeigen sich große Konzentrationen von Magnetfeld als dunkle Sonnenflecken. Das Bild rechts zeigt Plasma bei 1 Million K in der Korona, aufgenommen zur gleichen Zeit. Die Plasmabögen in der Korona zeichnen die Magnetfeldstruktur in der äußeren Atmosphäre nach. Diese Aufnahme vom 24.10.2014 zeigt etwa ein Viertel der Sonnenscheibe. Die hier abgebildete aktive Region war die größte der letzten 20 Jahre.
Da in der Photosphäre das Plasma, in der Korona das Magnetfeld dominiert, muss es dazwischen eine Region geben, in der sich die Verhältnisse umkehren. Und genau an solchen Phasenübergängen sind physikalische Prozesse besonders interessant, da sich Vorgänge unterschiedlicher Natur mischen. In diesem Interface zwischen Photosphäre und Korona liegen die Chromosphäre und die Übergangsregion. Die Chromosphäre schließt sich nach oben an die Photosphäre an. Während in der Photosphäre die Temperatur nach außen hin wie erwartet abfällt, steigt sie in der Chromosphäre wieder leicht an, bedingt vor allem durch Umwandlung von magnetischer Energie in Wärme, z. B. indem durch Bewegungen des Magnetfeldes induzierte Ströme dissipiert werden. Diese Region ist als farbiges, rot leuchtendes Band bei einer Sonnenfinsternis zu sehen, worauf ihr Name zurückgeht. Hier in der Chromosphäre findet der Übergang von plasma- zu magnetfelddominiert statt. Am oberen Ende der Chromosphäre steigt die Temperatur steil in die Korona hinein an. Dieses Gebiet, die Übergangsregion, ist durch steile Gradienten gekennzeichnet, durch die sich das Verhalten des Plasmas schlagartig ändert.
In dieser Interface-Region aus Chromosphäre und Übergangsregion kehrt sich einerseits die Dominanz der Rollen von Plasma und Magnetfeld um, und andererseits ändert sich das thermische Verhalten des Plasmas sehr stark. Dieser Region der Sonne ist der Interface Region Imaging Spectrograph (IRIS) gewidmet [1]. IRIS ist ein weltraumgestütztes Sonnenobservatorium der NASA mit internationaler Beteiligung. Gestartet im Juni 2013, liefert es seit Herbst 2013 Daten bisher unerreichter Qualität. Um diese Interface-Region zu beobachten, sind Observationen im extremen Ultraviolett (UV) notwendig, da in diesem Wellenlängenbereich die heiße äußere Atmosphäre der Sonne vor der im Sichtbaren alles überstrahlenden Oberfläche der Sonne beobachtbar ist.
IRIS liefert eine bisher im UV unerreichte hohe räumliche Auflösung von etwa 250 km auf der Sonne, eine Verbesserung um einen Faktor fünf. Bei dieser Auflösung könnte man aus Flensburg einen Menschen auf der Zugspitze erkennen. Dazu kommt eine spektrale Auflösung, also die Feinheit, mit der das Licht spektral in Farben zerlegt wird, die gegenüber Vorgängerinstrumenten um einen Faktor drei gesteigert werden konnte. Dies erlaubt einen wesentlich detaillierteren Blick in die Geschwindigkeitsverteilung und die Dynamik der Interface-Region.
Struktur der Sonnenatmosphäre
Unser Bild der Struktur der Sonnenatmosphäre hat sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Ging man zunächst von einer einfachen eindimensionalen Schichtung aus, so erzwangen besser werdende Beobachtungen ein Umdenken, und spätestens mit bildgebenden Beobachtungen im extremen UV in den 1990er Jahren wurde klar, dass die Struktur der Korona äußerst komplex ist. Kühle und heißere Strukturen sind nicht geordnet, sondern ineinander verwoben und zeitlich variabel. Im Fall der Chromosphäre setzte sich im gleichen Zeitraum das Bild einer dynamischen Chromosphäre durch, die sich ständig durch Stoßwellen thermisch und dynamisch verändert. Allerdings blieb das Paradigma, dass die heißen Gebiete (über 100 000 K) der Übergangsregion und der Korona oberhalb der kühleren Chromosphäre zu liegen kommen.
Beobachtungen mit IRIS zeigen nun, dass auch diese Temperaturordnung auf den Kopf gestellt werden kann [2]. Die spektroskopischen Beobachtungen demonstrieren, wie kühles Material der Chromosphäre räumlich über heißem Plasma liegt, das normalerweise der Übergangsregion zugeordnet wird (Abb. 2). Hierbei ist vor allem die hohe spektrale Auflösung von IRIS wichtig, denn die Beweisführung beruht auf sehr schmalen Absorptionslinien im Spektrum, die mit früheren Instrumenten nicht sichtbar gewesen wären. So unerwartet diese Umkehrung der normalen atmosphärischen Schichtung ist, so schwierig ist ihre noch offene Erklärung. Da die beobachteten heißen Taschen in kühlem Material eingebettet sind, müssen effektive Heizungsprozesse zuvor das kühle Material in der Tasche in sehr kurzer Zeit stark aufgeheizt haben. Verantwortlich für diese Explosionen ist vermutlich magnetische Rekonnexion, eine abrupte Veränderung der Struktur des Magnetfeldes. Allerdings zeigen bisherige Modelle für verwandte Ereignisse eine wesentlich geringere Temperaturerhöhung. Neue Modelle und Beobachtungen werden Wege zeigen müssen, wie dieses Phänomen verstanden werden kann.

Abb. 2: Heiße Explosionen in der kühlen Sonnenatmosphäre. Das linke Bild zeigt einen kleinen Ausschnitt der Sonne (50 000 km zu 25 000 km) im Licht von dreifach ionisiertem Silizium, astronomisch Si IV genannt, welches Plasma bei knapp unter 100 000 K repräsentiert. Es stechen etwa 1000 km kleine, heiße Taschen hervor, die für ca. 2 Minuten hell aufleuchten. Rechts ist in rot ein Spektrum der Si IV-Linie gezeigt, das am Punkt des roten Kreuzes im linken Bild aufgenommen wurde (Wellenlängenachse in Einheiten der Dopplerverschiebung). Erst der Vergleich mit einem normalen mittleren Spektrum (blau) zeigt, wie außergewöhnlich das Linienprofil an dieser Stelle der Atmosphäre ist. Die Analyse unter anderem dieses Spektrums zeigt, dass hier die Temperaturschichtung verdreht ist, denn nur so können die Absorptionslinien von Fe II (einfach ionisiertem Eisen) im Profil von Si IV verstanden werden.
Solche Temperaturinversionen konnten auch in weniger dynamischen Gebieten gefunden werden [3]. Dabei wurden schmale Absorptionslinien identifiziert, die Molekülübergängen zugeordnet sind (H2 und CO). Moleküle können nur in kühler Umgebung existieren, und zeigen so, dass eine dunkle Wolke, die sich über ein Gebiet starker Emission aus der Übergangsregion schiebt, höchstens 4000 K bis 5000 K kühl ist. Dieser weitere Fall einer Inversion in der Chromosphäre legt nahe, dass ein Umdenken in unserem Bild der Struktur der Sonnenatmosphäre nötig ist.
Struktur des Magnetfeldes
In Verbindung mit Beobachtungen der Magnetfeldstärke in der Photosphäre liefern die Daten von IRIS wichtige Informationen zur magnetischen Struktur in der Interface-Region. Die Beobachtung von Sonnenflecken zeigt dabei die magnetische Verbindung von der Korona durch die Interface-Region in die Photosphäre auf [4]. Von besonderem Interesse sind dabei sehr kleine Aufhellungen der Interface-Region, die vermutlich direkt die magnetische Wechselwirkung des in die Korona reichenden Magnetfeldes mit dem horizontalen Magnetfeld in den Außenbereichen der Sonnenflecken zeigt.
Da das Plasma entlang der Magnetfeldlinien gefangen ist, geben die Beobachtungen der Richtung von Plasma-Geschwindigkeiten Hinweise auf die dreidimensionale Struktur des Magnetfeldes. Insbesondere konnte mithilfe von IRIS gezeigt werden, dass die magnetische Helizität infolge von magnetischer Rekonnexion zwischen verschiedenen Zuständen wechseln kann. Helizität ist eine mathematische Eigenschaft des Magnetfeldes, die allgemeinverständlich als Verdrillung bezeichnet werden kann, und die eine Erhaltungsgröße darstellt. Der Zustandswechsel der Helizität wurde in der Theorie vorhergesagt und IRIS liefert nun erste Hinweise hierfür in der Sonnenatmosphäre [5].
Massenaustausch zwischen Chromosphäre und Korona
Die Interface-Region zeichnet sich durch ihre hohe Dynamik und die intensive Wechselwirkung zwischen Plasma und Magnetfeld aus, da sich die Energiedichten von Plasma und Magnetfeld hier die Waage halten. Hieraus resultiert ein stetiger Massenaustausch zwischen Korona und Chromosphäre, der mit der Heizung und Kühlung des Materials einhergeht, und in dessen Folge Stoßwellen eine wichtige Rolle spielen, um die Eigenschaften von Spektrallinien in der Übergangsregion zu verstehen [6]. Insbesondere in Gebieten mit erhöhtem Magnetfeld außerhalb von Sonnenflecken finden sich zahlreiche kleine Auswürfe von Plasma in die Korona hinein, sogenannte Jets, in denen das Material auf Geschwindigkeiten von mehreren 100 km/s beschleunigt wird [7]. Diese neu gefundenen dynamischen Jets (Abb. 3) spielen eine wesentliche Rolle beim Aufbau von Strukturen in der Übergangsregion und beim Transport von Masse in die Korona, und möglicherweise auch beim Füttern des Sonnenwindes, einem kontinuierlichen Strom geladener Teilchen, der die Heliosphäre, den durch den Sonnenwind geprägten interplanetaren Bereich um die Sonne, mit Plasma füllt und mit der Magnetosphäre der Erde, also der durch das Erdmagnetfeld dominierten Umgebung der Erde, in Wechselwirkung tritt.

Abb. 3: Jets in der Atmosphäre der Sonne. Dieses Bild zeigt die Sonne bei Temperaturen von ca. 40 000 K im Licht von C II (einfach ionisiertem Kohlenstoff). Der Ausschnitt ist etwa 83 000 km zu 37 000 km groß; rechts ist der Sonnenrand zu sehen. Wie Haarbüschel zeigen sich die Jets, von denen einige mit Pfeilen markiert sind. In diesen Jets strömt Material mit mehreren 100 km/s nach oben in die Atmosphäre und füttert so die Korona und den Sonnenwind mit Material.
Ausblick
Nach gut einem Jahr intensiver Forschung und der Untersuchung einer großen Vielfalt von Phänomenen haben Beobachtungen mit IRIS alte Fragen teils beantwortet, teils präzisiert, und vor allem neue Fragen aufgeworfen. Die hier vorgestellten Ergebnisse zu Taschen heißen Materials in kühler Umgebung, zur Inversion der thermischen Struktur der Atmosphäre, oder zur magnetischen Verbindung und dem Massenaustausch zwischen Chromosphäre und Korona kamen überraschend und harren einer Erklärung durch Modelle. Detaillierte dreidimensionale Simulationen der Sonnenatmosphäre, so komplex sie auch sind, konnten viele der von IRIS gefundenen Ereignisse nicht vorhersagen. Dies zeigt einmal mehr die Wichtigkeit neuer, verbesserter Beobachtungen in der astronomischen Forschung und lässt uns voller Erwartung auf die weiteren mithilfe von IRIS zu gewinnenden Ergebnisse blicken.
Literaturhinweise
DOI: 10.1007/s11207-014-0485-y
DOI: 10.1126/science.1255726
Astronomy & Astrophysics 569, L7 (2014)
DOI: 10.1051/0004-6361/201424432
Astrophysical Journal 790, L29 (2014)
DOI: 10.1088/2041-8205/790/2/L29
Astronomy & Astrophysics 570, A93 (2014)
DOI: 10.1051/0004-6361/201424377
Astrophysical Journal 799, L12 (2015)
DOI: 10.1088/2041-8205/799/1/L12
Science 346 (6207), 1255711 (2014)
DOI: 10.1126/science.1255711