Planetenentstehung: Vom Staub zum Planeten
Joanna Drążkowska leitet am MPS eine Lise-Meitner-Gruppe. Die Forscherin will verstehen, wie Planetensysteme entstehen.
Wie entstehen Planeten aus den Scheiben aus Gas und Staub, die um junge Sterne kreisen? Dieser Frage geht Joanna Drążkowska am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen im Rahmen einer Lise-Meitner-Gruppe der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) nach. Ziel der Forscherin ist es, erstmals die gesamte, Milliarden Jahre überspannende Entwicklung von kleinsten Staubkörnchen bis hin zu riesigen Planeten in einem einheitlichen Modell zu beschreiben und am Computer zu simulieren. Nur so lässt sich die Vielfalt der Planeten – in unserem Sonnensystem und darüber hinaus – verstehen. Prüfsteine für die Modelle sind Beobachtungsdaten aus den Tiefen des Weltalls sowie Analysen von Meteoriten, wie sie am MPS durchgeführt werden. Dabei zeigt sich, dass die Planetenentstehung deutlich komplexer und weniger gradlinig verläuft als bisher angenommen. Das Lise-Meitner-Exzellenzprogramm der MPG fördert gezielt außergewöhnlich qualifizierte Wissenschaftlerinnen und bietet ihnen die Perspektive, ihre Forschung dauerhaft innerhalb der MPG fortzusetzen.
Zu sagen, dass unser Sonnensystem nur ein Planetensystem unter vielen sei, ist eine großartige Untertreibung. Die allermeisten der etwa hundert Milliarden Sterne in unserer Milchstraße umgeben sich mit Planeten, so die aktuelle Schätzung. Dabei können die einzelnen Planetensysteme höchst unterschiedlich ausfallen: Um viele Sterne kreist wohl nur ein einziger Planet; andere bieten gleich mehreren eine Heimat; und einige – wie auch die Sonne – haben acht oder sogar mehr Welten in ihren Bann gezogen. Zudem variieren Größe, Abstand und Beschaffenheit der planetaren „Bewohner“ von Planetensystem zu Planetensystem stark. Diese unglaubliche Vielfalt stellt traditionelle Überlegungen zur Planetenentstehung auf eine harte Probe. Denn diese hatten ursprünglich nur unser eigenes Sonnensystem im Blick. Moderne Theorien müssen mehr leisten. „Wir versuchen zu verstehen, wie dieselben Prozesse, die unser eigenes Sonnensystem geformt haben, ebenso zu völlig anderen Planetensystem-Architekturen führen können“, beschreibt Drążkowska ihr Forschungsvorhaben.
Eine Abfolge von Gasplaneten
Frühere Modelle beschrieben die Planetenentwicklung als eher gradlinigen Prozess: Die Staubkörnchen, die in der Geburtsstunde eines jeden Planetensystems innerhalb einer Scheibe aus Gas und Staub um den noch jungen Stern kreisen, schließen sich zunächst zu kleinsten Klümpchen zusammen; die Klümpchen ballen sich zu Klumpen zusammen, diese zu größeren Brocken … bis auf diese Weise die Gesteinsplaneten und die Kerne der Gasriesen „heranwachsen“. Nach dieser Vorstellung können Planeten prinzipiell überall innerhalb der Gas- und Staubscheibe entstehen und folgen dabei einem klaren „Zeitplan“.
Doch die Theorie ist nicht länger haltbar. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich alle Phasen der Planetenentstehung gegenseitig bedingen und durchaus parallel ablaufen können“, erklärt Drążkowska. So konnte die Forscherin zeigen, dass ein entstehender Gasplanet auf die verbleibende Gas- und Staubscheibe in seiner Umgebung rückwirkt und in seiner Nähe Staub anhäuft. Auf diese Weise schafft er sozusagen das Baumaterial für den nächsten Gasriesen herbei. Dieser Prozess kann mehrfach ablaufen und so – deutlich effizienter und schneller als bisher angenommen – eine ganze Abfolge von Gasplaneten innerhalb eines Planetensystems erzeugen. In unserem Sonnensystem könnten auf diese Weise die Planeten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun entstanden sein. Der Ansatz von Drążkowska und ihrem Team ist es deshalb, erstmals alle Phasen der Planetenentstehung – vom kleinsten Staubkorn bis zum riesigen Planeten – innerhalb eines Modells zu beschreiben und zu simulieren.
Im Fall unseres Sonnensystems lassen sich die so gewonnen Erkenntnisse mit den Ergebnissen von Meteoritenanalysen vergleichen. Meteorite sind Gesteinsbrocken, die sich ihren Weg aus den Tiefen des Sonnensystems bis zur Erde gebahnt haben. Seit ihrer Entstehung haben sie sich nur wenig verändert und sind so Zeugen des Werdegangs unseres Sonnensystems. In Laboruntersuchungen geben sie einen Teil ihres Wissens preis. Ebenso aufschlussreich sind Beobachtungen ferner Planetensysteme. So hat etwa vor wenigen Jahren das Radioteleskop-Observatorium Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) erstmals die Entstehung eines fernen Planetensystems in einem Schnappschuss eingefangen. „Unser Ziel für die nächsten Jahre ist es, zunächst die Entstehung des Sonnensystems und anderer bekannter Systeme zu beschreiben. In einem zweiten Schritt wollen wir verstehen, welche Voraussetzungen und Prozesse dafür verantwortlich sind, dass Planetensysteme am Ende ihrer Entwicklung so verschieden aussehen können“, so Drążkowska.
Über die Forscherin und das Exzellenzprogramm
Joanna Drążkowska hat an der Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń (Polen) Astronomie studiert und an der Universität Heidelberg promoviert. Nach Forschungsaufenthalten an der Universität Zürich (Schweiz) und der Ludwig-Maximilians-Universität München (Deutschland) leitet sie seit 2022 die Forschergruppe PLANETOIDS am MPS. 2021 zeichnete die Fachzeitschrift Astromnomy & Astrophysics die Forscherin mit dem Early Career Award aus. Ein Jahr später erhielt sie ein Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC).
Das Lise-Meitner-Exzellenzprogramm der Max-Planck-Gesellschaft fördert herausragende Wissenschaftlerinnen und bietet ihnen die Möglichkeit, an einem Max-Planck-Institut ihrer Wahl eine dauerhafte Forschungsgruppe zu etablieren. Voraussetzung ist die positive Evaluierung der Gruppe. Die Leiterinnen der Lise-Meitner-Gruppen gelten zudem als Kandidatinnen für künftige Direktor*innenstellen der MPG. Aktuell forschen in der MPG 29 Wissenschaftlerinnen im Rahmen des Lise-Meitner-Exzellenzprogramms.