Solar Orbiter: Erste Bilder vom sonnennächsten Vorbeiflug
Aus einer Entfernung von 48 Millionen Kilometern hat Solar Orbiter Ende März einzigartige Messdaten eingefangen. Die ersten davon werden jetzt veröffentlicht.
Neue Messdaten der ESA-Raumsonde Solar Orbiter zeigen die äußere, heiße Atmosphäre der Sonne, die Korona, in bisher unerreichter Detailschärfe. Die Aufnahmen lassen hochaufgelöste koronale Bögen sowie eine kuriose strahlenförmige Struktur erkennen und bieten einzigartige Ansichten der Polregion unseres Sterns. Etwa anderthalb Monate nachdem die Sonde den bisher sonnennächsten Punkt ihrer Umlaufbahn um die Sonne passiert hat, veröffentlichen die Teams aller zehn wissenschaftlichen Instrumente heute erste Ergebnisse und Bilder aus dieser Missionsphase. Dabei zeigt sich die besondere Stärke der Sonde: der gleichzeitige Blick in verschiedene Schichten unseres Sterns. Auf diese Weise wurde die Raumsonde in den Tagen um den Vorbeiflug gleich mehrfach Zeuge solarer Teilchen- und Strahlungsausbrüchen. Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen ist an vier Instrumenten von Solar Orbiter sowie an der Auswertung der Daten beteiligt.
Struktur in der Sonnenkorona
Auf einen Abstand von nur etwa 48 Millionen Kilometern hatte Solar Orbiters Flugbahn die Sonde am 26. März an die Sonne herangeführt. Das entspricht weniger als einem Drittel der Entfernung zwischen Erde und Sonne – und markiert einen vorläufigen Höhepunkt der Mission. Nur drei Raumsonden sind der Sonne jemals nähergekommen – keine davon allerdings mit abbildenden Instrumenten, die auf die Sonne schauen. Solar Orbiter hingegen blickt mit sechs wissenschaftlichen Instrumenten auf Oberfläche, Atmosphäre und Umgebung der Sonne; vier weitere, die so genannten in situ-Instrumente, vermessen die Teilchen und elektromagnetischen Felder, welche die Raumsonde umströmen.
In den Tagen um den jüngsten Vorbeiflug waren alle Instrumente in Betrieb. Wegen der aktuell großen Entfernung zwischen Raumsonde und Erde ist die Datenübertragungsrate allerdings derzeit gering. Nur ein Teil der aufgenommenen Messdaten hat deshalb bisher die Erde erreicht und konnte in den vergangenen Wochen von den wissenschaftlichen Teams gesichtet werden. Weitere Daten werden noch erwartet.
Dreifacher Blick in die Korona
Einige der spannendsten Daten stammen aus der Korona der Sonne. Eingefangen von gewaltigen Magnetfeldern strömt dort mehr als eine Million Grad Celsius heißes Plasma; immer wieder kommt es zu heftigen Teilchen- und Strahlungsausbrüchen. Drei Instrumente von Solar Orbiter bilden diese und andere Vorgänge in der Korona ab. Der Koronograph Metis verdeckt die Sonnenscheibe und macht so den äußeren Bereich der Korona sichtbar. Das Instrument SPICE (Spectral Imaging of the Coronal Environment) spaltet das Licht aus der Korona in seine Wellenlängen auf und kann so etwa bestimmen, welche Elemente in welchem Bereich der Korona vorliegen. Zu beiden Instrumenten hat das MPS wesentliche Komponenten beigesteuert.
Dasselbe gilt für das Instrument EUI (Extreme Ultraviolet Imager), das die Korona im extrem kurzwelligen ultravioletten Licht mit Hilfe dreier Spiegelteleskope abbildet. Bei solch geringen Abständen von der Sonne wie beim Vorbeiflug liefert das Instrument aussagekräftige Daten nicht nur aus der unteren Korona, sondern bis zu einem Abstand, der sich mit dem Sichtfeld von Metis überschneidet. Auf diese Weise ergibt sich die einzigartige Möglichkeit, die Vorgänge in der Korona von der Sonnenoberfläche bis zu einem Abstand von drei Sonnenradien hochaufgelöst und ohne Unterbrechung zu beobachten. In diesem Bereich hat der Großteil der Sonnenaktivität ihren Ursprung.
Die Aufnahmen von EUI, die in der Zeit um den Vorbeiflug gelangen, sind die höchstaufgelösten der Korona aller Zeiten. „Solar Orbiters Messdaten aus der Korona übertreffen alle bisherigen an Detailschärfe und werden helfen, die Strukturen und Vorgänge in der Korona besser zu verstehen“, so Prof. Dr. Sami K. Solanki, Direktor am MPS.
In den Aufnahmen vom 30. März etwa findet sich eine kuriose Struktur, von der in alle Richtungen strahlenförmig heiße Plasmaflüsse abgehen. Sie misst etwa 25.000 Kilometer im Durchmesser. „Ein derartiges Phänomen haben wir bisher noch nie gesehen. Es ist unklar, was dort genau vor sich geht und wie diese Struktur entsteht“, so Prof. Dr. Hardi Peter vom MPS, Mitglied des EUI-Teams. Zudem gelangen Aufnahmen der Südpolregion der Sonne. Die Pole der Sonne sind von der Erde kaum zu sehen. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, hat Solar Orbiter die Ebene, innerhalb der die Erde um die Sonne kreist, bereits um vier Grad verlassen. Bis zum Ende der Mission sollen es 33 Grad werden.
Auch koronale Bögen, bogenförmige Plasmaflüsse in der Korona, die sich entlang der Magnetfelder bewegen, finden sich in den Aufnahmen von EUI und SPICE. Ihre Fußpunkte, die Bereiche an der Oberfläche der Sonne, an der sie ihren Ursprung nehmen, zeigen sich in gleichzeitigen Messungen des Solar Orbiter-Instrumentes PHI (Polarimetric and Helioseismic Imager). Das Instrument wurde unter Leitung des MPS entwickelt und gebaut und wird vom PHI-Team an MPS betrieben wird. Es kann unter anderem die Polarität der Magnetfelder an der Sonnenoberfläche sichtbar machen. „PHI ermöglicht es uns, den physikalischen Ursprung der koronalen Bögen zu verstehen“, erklärt MPS-Wissenschaftler und PHI-Projektmanger Dr. Joachim Woch.
Solares Feuerwerk
Einen genauen Blick werfen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch auf das Feuerwerk aus Strahlung und Teilchen, das die Sonne in der Zeit um den Vorbeiflug bot. Die in-situ Instrumente fingen Hinweise auf einen Ausbruch energetischer Teilchen und drei Strahlungsausbrüche ein. Den Strahlungsausbruch vom 31. März haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der höchsten Kategorie, genannt X, zugeordnet. Ausbrüche dieser Vehemenz treten selbst in Phasen hoher Sonnenaktivität nur selten auf. Die Messdaten der abbildenden Instrumente können helfen aufzuspüren, wo diese Ausbrüche auf der Sonne ihren Ursprung und welche Prozesse sie ausgelöst haben. So zeigen sich etwa in EUI-Aufnahmen frühe Anzeichen des beobachteten Teilchenausbruchs.
Sonneneruption vom 25. März 2022
Das erste Bild wurde mit dem Instrument EUI bei einer Wellenlänge von 17 Nanometern aufgenommen. Die Sonneneruption ist durch einen Pfeil dargestellt. Die Ansicht zoomt dann heraus und zeigt das Sichtfeld von Metis. Der Koronograph Metis nimmt Bilder der Korona im Bereich von 1,7 bis 3 Sonnenradien auf, indem es die helle Sonnenscheibe ausblendet. Der letzte Zoom zeigt den riesigen koronalen Massenauswurf, der in den Weltraum geschossen wird. Die Daten stammen von SoloHI, das Bilder von Sonnenlicht aufnimmt, das von den Elektronen im Sonnenwind gestreut wird.
Bereits im Oktober dieses Jahres soll Solar Orbiter der Sonne noch näherkommen. Dann werden Raumsonde und Stern nur noch 42 Millionen Kilometer trennen.