Vestas Geschichte in Stein
Das dunkle Material auf dem Protoplaneten Vesta enthält das Mineral Serpentin – und muss deshalb fremden Ursprungs sein.
Gesteine erzählen eine Geschichte: Da jedes Mineral nur unter bestimmten Bedingungen entsteht, gewähren sie einen Einblick in die Entwicklung des Körpers, auf dem sie gefunden werden. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) haben nun begonnen, dem rätselhaften dunklen Material auf dem Protoplaneten Vesta diese Geschichte zu entlocken. Mit Hilfe des wissenschaftlichen Kamerasystems an Bord der NASA-Raumsonde Dawn ist es den Forschern erstmals gelungen, mit Serpentin einen mineralischen Bestandteil nachzuweisen. Die neue Entdeckung setzt einen Schlussstrich unter die Diskussion um den Ursprung des dunklen Materials: Einschläge primitiver Asteroiden müssen es auf dem Protoplaneten verteilt haben.
Das so genannte dunkle Material, das sich vereinzelt auf der Oberfläche des Protoplaneten Vesta findet, ist eines seiner außergewöhnlichsten Merkmale. Seit der Ankunft der NASA-Raumsonde Dawn am Protoplaneten im Juli 2011 beschäftigt das Material, das ebenso effizient Licht schluckt wie Ruß, die Wissenschaftsgemeinde. Aus welchen Stoffen besteht das Material? Wie ist es entstanden? Und was verrät es über diesen einzigartigen Himmelskörper, der sich anschickte ein Planet zu werden, aber vor etwa 4,5 Milliarden Jahren in einer frühen Phase dieser Entwicklung steckenblieb?
In ihrer neuen Studie beantworten die MPS-Forscher einen Teil dieser Fragen. So konnte sie in dem dunklen Material das Silikat Serpentin identifizieren. Bereits vor etwa anderthalb Jahren hatten Forscher das dunkle Material als reich an Kohlenstoff charakterisiert. „Neben einzelnen Elementen und einfachen Verbindungen wie OH-Gruppen nun komplexe Mineralien identifizieren zu können, bringt uns einen entscheidenden Schritt weiter“, erklärt Dr. Andreas Nathues vom MPS die Tragweite der neuen Entdeckung.
Wie jedes Mineral entsteht auch Serpentin nur unter bestimmten Bedingungen: Druck und Temperatur dürfen weder zu hoch, noch zu niedrig sein; begleiten weitere Elemente wie etwa Wasserstoff die Geburtsstunde, bilden sich vorzugsweise andere Verbindungen. „Der Nachweis von Mineralien im dunklen Material gewährt uns Zugang zu einer völlig neuen Art von Information“, so Nathues. „Wir müssen uns nicht mehr auf die Frage beschränken, woraus dieses Material besteht. Die Mineralien erzählen uns, welchen Umweltbedingungen es ausgesetzt war.“
Serpentin etwa kann Temperaturen oberhalb von 400 Grad Celsius nicht überstehen: im Serpentin enthaltene Verbindungen aus einem Sauerstoff- und einem Wasserstoffatom verändern sich dann und je nach Umgebungsbedingungen entstehen andere Stoffe. „Das dunkle Material ist also nicht sehr heiß geworden“, schlussfolgert Dr. Martin Hoffmann vom MPS. Da Vesta – anders als die deutlich kleineren Asteroiden – in einer frühen Entwicklungsphase heiß und geschmolzen war, kann das dunkle Material somit kein ursprünglicher Bestandteil des Protoplaneten sein. Auch ein vulkanischer Ursprung, den manche Wissenschaftler vermuten, ist somit ausgeschlossen.
„Einzige Möglichkeit bleiben Einschläge von Asteroiden“, erklärt Hoffmann und weist darauf hin, dass einige primitive Meteorite typischerweise Serpentin enthalten. Diese gelten als Bruchstücke kohlenstoffreicher Asteroiden. Solche Einschläge müssen zudem vergleichsweise gemächlich abgelaufen sein, denn auch ein Asteroid, der mit hohen Geschwindigkeiten aufprallt, hätte zu hohe Temperaturen erzeugt. In einer früheren Studie hatten Wissenschaftler des MPS berechnet, wie sich das dunkle Material durch ein solches Ereignis verteilen würde. Die tatsächlichen Fundstellen am Rande eines der beiden großen Einschlagsbecken der Südhalbkugel decken sich mit diesen Berechnungen.
Schlüssel zu den aktuellen Ergebnissen war eine neue und genauere Analyse der Bilder, welche das Kamerasystem an Bord der Raumsonde Dawn in der Zeit von Juli 2011 bis September 2012 aus Umlaufbahnen um Vesta aufgenommen hatte. Die sieben Farbfilter des Kamerasystems können bestimmte Wellenlängenbereiche aus dem Licht, das Vesta zurück ins All reflektiert, herausfiltern und so die charakteristischen „Fingerabdrücke“ bestimmter Materialien aufspüren. „Die Gebiete, in denen das dunkle Material an den steilen Rändern großer Krater zu Tage tritt, sind nicht groß. Manchmal erstreckt es sich in einer Richtung nur über wenige hundert Meter“, erklärt Nathues, Leiter des Kamera-Teams, die messtechnischen Herausforderungen. Erst durch sorgfältiges Rekalibrieren ist es nun gelungen, den Daten die neuen Informationen zu entlocken. Zudem nutzten die Forscher Messdaten des Spektrometers VIR an Bord der Sonde.
Um das Serpentin zweifelsfrei in ihren Kameradaten zu identifizieren, untersuchten die Forscher auch serpentinhaltige Mineralmischungen und Meteorite im Labor. Die Fingerabdrücke, welche diese Proben in reflektiertem Licht hinterlassen, stimmen gut mit den realen Messdaten von Vesta überein.
Die Mission Dawn wird vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) der amerikanischen Weltraumbehörde NASA geleitet. JPL ist eine Abteilung des California Institute of Technology in Pasadena. Die University of California in Los Angeles ist für den wissenschaftlichen Teil der Mission verantwortlich. Das Kamerasystem an Bord der Raumsonde wurde unter Leitung des MPS in Göttingen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin und dem Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze in Braunschweig entwickelt und gebaut. Das Kamera-Projekt wird finanziell von der Max-Planck-Gesellschaft, dem DLR und NASA/JPL unterstützt. VIR wurde zur Vefügung gestellt von der Italienischen Weltraumagentur und wird vom National Institute for Astrophysics in Rom in Zusammenarbeit mit Selex Galileo betrieben. Das Instrument wurde unter Leitung von Selex Galileo gebaut.