Rosetta: Steckbrief eines Kometen

Messergebnisse der ESA-Raumsonde Rosetta liefern ein umfassendes Bild des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko – von den Schichten unter der Oberfläche bis zu seiner Atmosphäre.

22. Januar 2015

Eine wärmeisolierende Schicht an der Oberfläche; bizarre Landschaften, die unterschiedlicher kaum sein könnten; eine geringe Dichte vergleichbar mit der von Kork sowie Fontänen aus Staub und Gas, die einem eigenen Rhythmus folgend ins All strömen. Messdaten der wissenschaftlichen Instrumente an Bord der ESA-Raumsonde Rosetta zeichnen ein immer genaueres Bild des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko, den sie seit August vergangenen Jahres auf seinem Weg in Richtung Sonne begleitet. Einen Überblick über den aktuellen Kenntnisstand bietet eine Sonderausgabe des Fachmagazins Science, das am kommenden Freitag erscheint. Die Zeitschrift widmet der Rosetta-Mission sieben Artikel; zu fünf davon haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen maßgeblich beigetragen. Die Ergebnisse lesen sich nicht nur wie eine Art Steckbrief eines erwachenden Kometen, sondern enthalten auch erste Hinweise auf seine Entstehungsgeschichte.

Als der Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko im Frühjahr vergangenen Jahres erwachte und begann, Staub und Gas ins All zu spucken, war die Raumsonde Rosetta bereits zur Stelle: Viele der insgesamt zehn Instrumente an Bord fingen bereits in der Anflugphase erste Messdaten ein. Spätestens seit der Ankunft der Sonde an „ihrem“ Kometen im August 2014 steht 67P/Churyumov-Gerasimenko unter Dauerbeobachtung. Den Forschern zeigen sich nicht nur überraschend vielfältige Oberflächenstrukturen, sondern auch ausgesprochen dynamische Prozesse, die die Atmosphäre des Kometen speisen.

Aus dem Mosaikbild des Kometen, das die Forscher aus den verschiedensten Messergebnissen nach und nach zusammensetzen, wollen sie vor allem eins ablesen: Wie ist der Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko entstanden? War er ursprünglich ein einzelner, größerer Brocken, der bei seinen bisherigen Umläufen um die Sonne Material verlor und so seine heutige zweigeteilte Gestalt erhielt? Oder vereinten sich einst zwei kleinere Brocken, die heute den Kopf und den Körper des Kometen bilden? Dies könnte helfen zu verstehen, wie Kometen in der Frühphase des Sonnensystems entstanden.

Entscheidende Hinweise erhoffen sich Wissenschaftler von einem Vergleich der verschiedenen Teile des Kometen. Während sich bisher nur wenige grundsätzliche Unterschiede zwischen dem Kopf und dem Körper zeigen, sticht die Halsregion heraus. Sie war in den vergangenen Monaten nicht nur Hauptausgangspunkt der Gas- und Staubemissionen des Kometen, sondern könnte sich auch in weiteren Eigenschaften unterscheiden.

Kometenkern und Aktivität

Mit Hilfe von Aufnahmen des Kamerasystems OSIRIS erstellten Forscher in den vergangenen Monaten ein dreidimensionales Modell des Rosetta-Kometen und konnten ihn so genau vermessen: Während der kleinere Teil des Kometen, der sogenannte Kopf, eine Größe von 2,6 x 2,3 x 1,8 Kilometern besitzt, erstreckt sich der größere Teil, der Körper, über 4,1 x 3,3 x 1,8 Kilometer. Zusammen mit der Masse des Kometen, die das Instrument RSI bestimmen konnte, ergibt sich eine Dichte von 470 Kilogramm pro Kubikmeter, vergleichbar etwa mit der Dichte von Kork. Dies ist die erste direkte Messung der Dichte eines Kometenkerns.

„Wir gehen davon aus, dass der Komet aus Eis und Staub besteht, Materialien die beide eine deutlich höhere Dichte aufweisen“, erklärt Holger Sierks vom MPS, Leiter des OSIRIS-Teams. „Der gemessene Wert lässt somit darauf schließen, dass der Komet eine Porosität von 70 bis 80 Prozent aufweist. Wir verstehen ihn derzeit als eine Art lockere Ansammlung von Eis- und Staub-Teilchen mit vielen, vielen Zwischenräumen“, ergänzt der Forscher.

Überraschend unauffällig zeigt sich die Farbgebung von 67P. Anders als etwa bei Asteroiden lassen sich nahezu keine farblichen Variationen auf der Oberfläche erkennen. Lediglich der Halsbereich, der den größeren mit dem kleineren Teil verbindet, sowie vereinzelte Brocken auf der Oberfläche zeigen sich in den Aufnahmen heller als die Umgebung.

Von diesem Bereich geht zudem ein Großteil der Aktivität des Kometen aus: Fast alle Staubfontänen, die sich vor allem in den ersten Monaten zeigten, nehmen dort ihren Ursprung. „Wir sehen, dass sich diese Region deutlich vom Rest des Kometen unterscheidet“, so Sierks. Rechnungen des OSIRIS-Teams haben ergeben, dass der Hals keineswegs wie zunächst vermutet mehr Wärmeenergie von der Sonne aufnimmt als andere Regionen. Im Gegenteil: In den vergangenen Monaten war 67P so zur Sonne orientiert, dass der Hals sogar weniger Energie erhielt als andere Bereiche. „Das Eis in der Halsregion könnte Anteile von Kohlenmonoxid oder –dioxid aufweisen oder einfach dichter an der Oberfläche liegen“, so Sierks.

In der Nähe des Halsbereiches auf dem Rücken finden sich zudem weitere Aktivitätsquellen: zylindrische Vertiefungen mit einem Durchmesser von bis zu 300 Metern und einer Tiefe von bis zu 200 Metern, die Einblicke in die Tiefenstruktur des Kometen geben. Die Gebilde könnten Hinweise auf die frühe Bildungsphase des Sonnensystems geben.

(H. Sierks et al.: On the nucleus structure and activity of comet 67P/Churyumov-Gerasimenko, Science, 23. Januar 2015)


Bizarre Landschaften

Etwa 70 Prozent der Oberfläche des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko hat das wissenschaftliche Kamerasystem OSIRIS bereits abgelichtet und aus den Aufnahmen detaillierte Geländekarten erstellt. Dabei zeigen sich Landschaften, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Glatte Gebiete wechseln sich ab mit zerklüfteten und zerfurchten oder solchen, die von einer möglicherweise meterdicken Staubschicht bedeckt sind. Insgesamt 19 morphologisch unterschiedliche Regionen haben die Forscher identifiziert und in fünf Kategorien eingeteilt. Benannt wurden diese Regionen nach ägyptischen Gottheiten.

„Auch aus morphologischer Sicht hebt sich die Halsregion des Kometen deutlich von anderen Bereichen ab“, beschreibt Holger Sierks vom MPS, Leiter des OSIRIS-Teams. Anders als die Gebiete auf dem Kopf und dem Körper des Kometen ist die Oberfläche dort glatt: frei von jedweden Kratern, Furchen oder Klippen. Ein Riss langer zeigt sich allerdings, der auf mechanischen Stress im Kometenkern hindeutet.

Andere Regionen besonders auf der Nordhalbkugel des Kometen liegen unter einer lockeren Staubschicht, die an manchen Stellen Verwehungen und dünenartige Strukturen aufweist. „Fast erinnern die Bilder an solche, die man aus den Wüstenregionen der Erde kennt“, so Sierks. Die Wissenschaftler vermuten, dass Staub, der dem Schwerefeld des Kometen nicht entkommen konnte und auf die Oberfläche zurückfällt, diese Landschaften formt.

Auch die gewaltigen Temperaturunterschiede, denen der Körper auf seiner Reise von den eisigen Tiefen des Weltalls bis in eine Entfernung von nur 180 Millionen Kilometern von der Sonne ausgesetzt ist, hinterlassen ihre Spuren: An manchen Stellen zeigen sich bizarre Landschaften, die von Rillen, Rissen und Furchen dominiert werden.

Zudem finden sich Bereiche mit Oberflächenmaterial, das vergleichsweise hart und verfestigt sein könnte sowie jeweils eine große beckenförmige Vertiefung auf Kopf und Körper des Kometen.

(N. Thomas et al.: The morphological diversity of comet 67P/Churyumov-Gerasimenko, Science, 23. Januar 2015)


Gut isoliert

Das Instrument MIRO untersucht die elektromagnetische Strahlung, die der Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko ins All sendet, in den Wellenlängenbereichen um 1,6 und 0,5 Millimetern. Diese Strahlung umfasst nicht nur die Wärmestrahlung, die vom Kometen ausgeht, sondern enthält auch charakteristische Fingerabdrücke von Wassermolekülen.

Bereits im Juni vergangenen Jahres konnte das MIRO-Team unter Leitung von Sam Gulkis vom Jet Propulsion Laborarory in den USA auf diese Weise Wasserdampf in der Atmosphäre des Kometen nachweisen. Zu diesem Zeitpunkt „schwitzte“ der Komet unter dem Einfluss der Sonne etwa 300 Milliliter Wasser pro Sekunde aus. Ende August war diese Menge auf 1,2 Liter pro Sekunde gestiegen.

Besonders auffällig: Die gemessenen Wassermoleküle bewegen sich überwiegend in Richtung Sonne, verdampfen also in erster Linie von der Tagseite des Kometen. Dort, wo Sonnenlicht auf die Oberfläche trifft, erwärmt sie sich soweit, dass Eis sublimieren kann. Auf der Nachtseite bleiben die Temperaturen indes unter der Sublimationstemperatur zurück. „Auch die Temperaturmessungen bestätigen starke Temperaturunterschiede zwischen Tag- und Nachtseite“, erklärt Paul Hartogh vom MPS, Mitglied des MIRO-Teams. Zudem treten jahreszeitliche Schwankungen während eines Umlaufs um die Sonne auf.

Insgesamt lassen die Daten darauf schließen, dass die staubige Oberflächenschicht des Kometen zwar schnell auf Temperaturänderungen reagiert, Wärme jedoch ausgesprochen schlecht leitet. So bildet sie eine Art Wärmeisolierung, die tiefer liegende Schichten vor dem Einfluss der Sonne schützt. „Dies könnte erklären, warum 67P und andere Kometen, die ins innere Sonnensystem vordringen, so langlebig sind und viele Umläufe um die Sonne überstehen“, so Hartogh.

(S. Gulkis et al.: Subsurface properties and early activity of comet 67P/Churyumov-Gerasimenko, Science, 23. Januar 2015)


Kometengase aus der Tiefe

Ebenfalls einen genauen Blick auf die Gasumgebung des Kometen hat der Massenspektrograph ROSINA in den vergangenen Monaten geworfen. Dabei konnte das Team unter Leitung von Katrin Altwegg von der Universität zu Bern nicht nur Wasserdampf, sondern auch Kohlendioxid und -monoxid identifizieren. „Die Gase treten jedoch sehr unterschiedlich auf – sowohl was ihre räumliche Verteilung betrifft, als auch im Verlaufe einer Drehung des Kometen um die eigene Achse“, beschreibt Urs Mall vom MPS, Mitglied des ROSINA-Teams.

Während der beiden Messperioden fand das ROSINA-Team eine starke Abhängigkeit der Menge der vom Kometen emittierten Gase von der Rotationsrichtung des Kometen relativ zur Raumsonde. Ob generell aus der Halsregion des Kometen in erster Linie Wasserdampf austritt, während von der Unterseite vermehrt Kohlendioxid ausgast, wird sich in weiteren Messungen zeigen. Ein ähnliches Verhalten ist nämlich vom Kometen 103P/Hartley2 bekannt, Ziel der EPOXI-Mission im Jahre 2010. Ob sich daraus schließen lässt, das die gefrorenen Gase ungleichmäßig auf dem Kometenkern verteilt sind, ist noch unklar. Auch jahreszeitliche Effekte könnten hier eine Rolle spielen. So wird die Unterseite des Kometen derzeit nur schwach von der Sonne beleuchtet. Dort herrscht Winter. Es ist denkbar, dass in den wärmeren Sommermonaten auch dort mehr Wasserdampf entsteht.

„Allerdings beobachten wir, dass die Emission von Kohlendioxid und -monoxid nicht so stark im Verlauf einer Kometenumdrehung schwankt wie die von Wasserdampf“, so Mall. Dies könnte möglicherweise darauf hinweisen, dass diese Gase aus größerer Tiefe verdampfen, wo sich die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht nicht so stark bemerkbar machen.

(M. Hässig et al.: Time variability and heterogeneity in the coma of 67P/Churyumov-Gerasimenko, Science, 23. Januar 2015)

Staubteilchen im Orbit

Das Teilcheninstrument GIADA hat in den vergangenen Monaten Masse und Größe, das Kamerasystem OSIRIS Fluggeschwindigkeit und -richtung der Staubteilchen in der Umgebung des Kometen untersucht. Die Forscher entdeckten nicht nur Teilchen, die sich von der Kometenoberfläche fortbewegen, sondern auch solche in einer stabilen Umlaufbahn. Die gebundenen Staubklumpen halten sich in einem Abstand von bis zu etwa 145 Kilometern von der Kometenoberfläche auf. 

Die Wissenschaftler vermuten, dass diese Teilchen den Kometen seit seinem letzten Vorbeiflug an der Sonne begleiten. Als die Gas- und Staubaktivität von 67P nach der Sonnenpassage wieder abnahm, konnte kein ausgasendes Material die Bewegungen der Klumpen mehr stören und sie blieben auf stabilen Umlaufbahnen gebunden. Wenn der Komet in den kommenden Monaten der Sonne wieder näher kommt und die Emission von Staub und Gas dramatisch zunimmt, werden sich diese Klumpen voraussichtlich in den Weiten des Alls verlieren.

In den Daten von GIADA, OSIRIS und MIRO fanden die Forscher zudem Hinweise, dass 67P in den vergangenen Monaten viermal so viel Staub wie Gas ins All spuckte. Frühere Messungen an anderen Kometen ergaben hingegen einen höheren Massenanteil von Gasen. Allerdings ist zu erwarten, dass die Gasproduktion von 67P in den nächsten Monaten deutlich zunimmt.

(Alessandra Rotundi et al.: Dust measurements in the coma of comet 67P/Churyumov-Gerasimenko inbound to the Sun between 3.7 and 3.4 AU, Science, 23. Januar 2015)


Weitere Informationen

Rosetta ist eine Mission der Europäischen Weltraumagentur ESA mit Beiträgen der Mitgliedsstaaten und der amerikanischen Weltraumagentur NASA. Rosettas Landeeinheit Philae wurde von einem Konsortium unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) und der französischen und italienischen Weltraumagentur (CNES und ASI) zur Verfügung gestellt. Rosetta ist die erste Mission in der Geschichte, die einen Kometen anfliegt, ihn auf seinem Weg um die Sonne begleitet und eine Landeeinheit auf seiner Oberfläche absetzt.

Das wissenschaftliche Kamerasystem OSIRIS wurde von einem Konsortium unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Zusammenarbeit mit CISAS, Universität Padova (Italien), Laboratoire d'Astrophysique de Marseille (Frankreich), Instituto de Astrofísica de Andalucia, CSIC (Spanien), Scientific Support Office der ESA (Niederlande), Instituto Nacional de Técnica Aeroespacial (Spanien), Universidad Politéchnica de Madrid (Spanien), Department of Physics and Astronomy of Uppsala University (Schweden) und dem Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze der TU Braunschweig gebaut. OSIRIS wurde finanziell unterstützt von den Weltraumagenturen Deutschlands (DLR), Frankreichs (CNES), Italiens (ASI), Spaniens (MEC) und Schwedens (SNSB).

MIRO wurde am Jet Propulsion Laboratory (JPL) der amerikanischen Weltraumbehörde NASA gebaut, wo Sam Gulkis, der Leiter des MIRO-Teams, forscht. Subsysteme des Instrumentes wurden vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung und vom Laboratoire d'Etudes du Rayonnement et de la Matière en Astrophysique des Observatoire de Paris zur Verfügung gestellt. Das MIRO-Konsortium umfasst zudem das Laboratoire d'études spatiales et d'instrumentation en astrophysique des Observatoire de Paris.

Das Instrumentenpaket ROSINA (Rosetta Orbiter Spectrometer for Ion and Neutral Analysis) wurde von einem internationalen Konsortium unter Leitung der Abteilung für Weltraumforschung und Planetologie der Universität Bern entwickelt und gebaut. Die Universität Bern stellt mit Kathrin Altwegg die wissenschaftliche Leiterin des ROSINA-Teams. Hardware-Komponenten wurde zur Verfügung gestellt vom Belgian Institute for Space Aeronomy (Brüssel, Belgien), dem Research Institute in Astrophysics and Planetology (Toulouse, Frankreich), dem Institut Pierre Simon Laplace (Paris, Frankreich), dem Lockheed Martin Advanced Technology Center (Palo Alto, USA), dem Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung  (Göttingen, Deutschland), dem Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze der TU Braunschweig (Braunschweig, Deutschland) und der University of Michigan (Ann Arbor, USA).

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