Rosetta-Komet: Auf der Südseite wird’s heiß
Die Südseite von 67P wird sich in den nächsten Monaten dramatisch verändern. Unter dem Einfluss der Sonne könnte der Komet dort eine Oberflächenschicht von einigen Metern Dicke verlieren.
Nord- und Südseite des Rosetta-Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko werden sich in den nächsten Monaten sehr verschieden entwickeln. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des OSIRIS-Teams in einer aktuellen Analyse. Mit Hilfe eines thermischen Modells konnten sie abschätzen, wie viel Material im Laufe eines Sonnenumlaufs von beiden Halbkugeln abgetragen wird. Unter dem Einfluss der Sonne verdunstet gefrorenes Wasser von der Oberfläche des Kometen und reißt Staubteilchen mit sich. Während die Südhalbkugel eine Schicht von mehreren Metern Dicke verlieren und somit ihr Aussehen grundlegend verändern könnte, ist die Nordhalbkugel weniger stark betroffen. Seit der Ankunft der Raumsonde Rosetta an “ihrem” Kometen im August vergangenen Jahres ist die Südhalbkugel der Sonne abgewandt. Ab Mai dieses Jahres wird dieser Bereich wieder beleuchtet.
Ähnlich wie auf der Erde gibt es auch auf dem Rosetta-Kometen verschiedene Jahreszeiten: Während einige Regionen phasenweise starker Sonneneinstrahlung unterliegen, erhalten zur selben Zeit andere deutlich weniger Sonnenlicht. Einige Bereiche in der Nähe der Pole durchleben gar Phasen völliger Dunkelheit oder ununterbrochener Sonne. Grund dafür ist, dass die Rotationsachse beider Körper zur Bahnebene geneigt ist. Mit einem Winkel von 52 Grad fällt diese Neigung bei 67P/Churyumov-Gerasimenko jedoch deutlich stärker aus als bei der Erde. Zusammen mit seiner komplexen Form und seiner stark elliptischen Umlaufbahn um die Sonne führt dies zu einer sehr ungleichen Verteilung von Sommer- und Wintermonaten auf beide Hemisphären des Kometen. Der Sommer auf der Nordhalbkugel (und entsprechend der Winter auf der Südhalbkugel) vollzieht sich während der Komet fern der Sonne ist und dauert ganze 5,6 Jahre. Die Südhalbkugel hingegen durchlebt eine kurze und intensive warme Jahreszeit von etwa 10 Monaten.
Derzeit ist die Südseite des Kometen der Sonne abgewandt und in einer Art Polarnacht gefangen. Erst ab Mai werden Sonnenstrahlen diese Gebiete wieder erreichen. "Wir erwarten, dass dann die Erosion dort deutlich zunehmen wird", so Holger Sierks vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen, Leiter des OSIRIS-Teams.
In ihren Modellrechnungen schätzten die Forscher des OSIRIS-Teams den maximalen Materialabtrag für beide Regionen im Verlauf eines Sonnenumlaufs ab. Dabei nahmen sie an, dass das unterirdische gefrorene Wasser von einer sehr dünnen und extrem porösen Staubschicht bedeckt ist, deren Dicke nur 50 Mikrometer misst. „Natürlich können wir uns bei diesem Wert noch nicht völlig sicher sein. Mit ihm lassen sich jedoch die Erosionsraten, die wir derzeit beobachten, gut reproduzieren. Wir halten ihn deshalb für einen guten Ausgangspunkt für unser Modell“, erklärt OSIRIS-Wissenschaftler Horst Uwe Keller vom Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), emeritierter Leiter des OSIRIS-Teams, der die Analyse leitete. Die Erosion ist dann proportional zur Sublimation von gefrorenem Wasser, welche die Wissenschaftler in Abhängigkeit von der Sonneneinstrahlung bestimmten.
Die Berechnungen basieren auf einem dreidimensionalen Modell des Kometen, das aus Daten des Kamerasystems OSIRIS berechnet wurde. Morphologische Details wurden vernachlässigt und die gesamte Oberfläche durch etwa hunderttausend kleine Dreiecke dargestellt.
„Unter der Annahme, dass der Komet viermal so viel Staub emittiert wie Gas, führt unser Modell zu sehr unterschiedliche Szenarien für die nördliche und südliche Hemisphäre", so OSIRIS Wissenschaftler Stefano Mottola vom Institut für Planetenforschung. "Die Südhalbkugel könnte während ihres kurzen, aber intensiven Sommers eine Schicht von bis zu 20 Metern Dicke verlieren. Auf der Nordhalbkugel dürfte dieser Wert deutlich kleiner sein. Nach unseren Schätzungen erodieren dort nur wenige stark emporragende Gipfel und Klippen um mehr als zehn Meter im Verlauf eines Sonnenumlaufs.“
Die Wissenschaftler erwarten deshalb, dass sich die Südseite dramatisch verändern wird, wenn sich 67P seinem Sonnenvorbeiflug im August dieses Jahres nähert. „Möglicherweise wird 67P nach seiner Sonnenpassage nicht mehr der Komet sein, der uns in den vergangenen Monaten so vertraut geworden ist“, so Sierks. „Diese Veränderungen aus der Nähe mit zu erleben, wird ein unbeschreibliches Abenteuer sein.“
Der Halsbereich des Kometen, der seine beiden Teile verbindet, erfährt wenig Sonnenlicht. Gleichzeitig zeigte dieser Bereich in den vergangenen Monaten besonders starke und frühe Aktivität: Viele Staubfontänen nahmen dort ihren Ursprung. Die Forscher glauben deshalb, dass sich dieser Bereich möglicherweise durch eine andere Zusammensetzung auszeichnet.
Rosetta ist eine Mission der Europäischen Weltraumagentur ESA mit Beiträgen der Mitgliedsstaaten und der amerikanischen Weltraumagentur NASA. Rosettas Landeeinheit Philae wurde von einem Konsortium unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) und der französischen und italienischen Weltraumagentur (CNES und ASI) zur Verfügung gestellt. Rosetta ist die erste Mission in der Geschichte, die einen Kometen anfliegt, ihn auf seinem Weg um die Sonne begleitet und eine Landeeinheit auf seiner Oberfläche absetzt.
Das wissenschaftliche Kamerasystem OSIRIS wurde von einem Konsortium unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Zusammenarbeit mit CISAS, Universität Padova (Italien), Laboratoire d'Astrophysique de Marseille (Frankreich), Instituto de Astrofísica de Andalucia, CSIC (Spanien), Scientific Support Office der ESA (Niederlande), Instituto Nacional de Técnica Aeroespacial (Spanien), Universidad Politéchnica de Madrid (Spanien), Department of Physics and Astronomy of Uppsala University (Schweden) und dem Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze der TU Braunschweig gebaut. OSIRIS wurde finanziell unterstützt von den Weltraumagenturen Deutschlands (DLR), Frankreichs (CNES), Italiens (ASI), Spaniens (MEC) und Schwedens (SNSB).