Ferner Stern ist eine runde Sache
Forscher messen die Form eines fernen Sterns mit bisher unerreichter Genauigkeit - und entdecken so das rundeste, bekannte natürliche Objekt.
Sterne sind keine perfekten Kugeln; mehrere Faktoren können ihre Form beeinflussen. Einer dieser Faktoren ist die Rotation: Je schneller ein Stern rotiert, desto flacher wird er. Verantwortlich dafür ist die Zentrifugalkraft. Da ferne Sterne uns jedoch nur als Punkte am Himmel erscheinen, ist es eine herausfordernde Aufgabe, ihre Form zu bestimmen. Einem Team von Wissenschaftlern unter Leitung von Prof. Dr. Laurent Gizon vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) und der Universität Göttingen, ist es nun gelungen, die Abflachung eines langsam rotierenden Sterns zu messen. In ihrer Studie, die am Mittwoch, 16. November 2016, in der Fachzeitschrift Science Advances erscheint, nutzen sie erstmals Methoden der Asteroseismologie, um die Abflachung eines Sterns mit bisher unerreichter Genauigkeit zu bestimmen. Für einen Stern, der mehr als 5000 Lichtjahre (47.000.000 Milliarden Kilometer) von der Erde entfernt ist, fanden sie einen Unterschied zwischen dem äquatorialen und dem polaren Radius von nur drei Kilometern. Im Vergleich zum mittleren Radius des riesigen Sterns von 1,5 Millionen Kilometern ist diese Abweichung erstaunlich klein.
Alle Sterne drehen sich um ihre eigene Achse. Die Zentrifugalkraft sorgt deshalb für eine abgeflachte Form. Je schneller ein Stern rotiert, desto stärker ist dieser Effekt. Unsere Sonne etwa dreht sich innerhalb von 27 Tagen einmal um die eigene Achse. Ihr Radius am Äquator ist zehn Kilometer länger als der am Pol. (Bei der Erde beträgt dieser Unterschied 21 Kilometer.) Für ihre jüngsten Messungen wählten Prof. Dr. Laurent Gizon und seine Kollegen einen langsam rotierenden Stern mit Namen Kepler 11145123 aus. Dieser heiße und helle Stern ist mehr als zweimal so groß wie die Sonne und braucht für eine Umdrehung um die eigene Achse dreimal so lange wie unser Zentralgestirn. Er befindet sich mehr als 5000 Lichtjahre von der Erde entfernt – eine gewaltige Strecke im Vergleich zu den wenigen Kilometern, welche die Wissenschaftler messen konnten.
Die Wahl der Wissenschaftler fiel auf diesen speziellen Stern, weil er sinusförmige Schwingungen zeigt. Spuren seines periodischen Ausdehnens und Zusammenziehens finden sich in den Helligkeitsschwankungen des Lichtes, das er ins All abstrahlt. Mehr als vier Jahre lang konnte das Weltraumteleskop Kepler der amerikanischen Weltraumagentur NASA diese Schwingungen ununterbrochen beobachten. Dabei treten die verschiedenen Schwingungsarten in unterschiedlichen Breitengraden des Sterns unterschiedlich ausgeprägt auf. Für ihre Studie verglichen Gizon und seine Kollegen die Frequenzen der Schwingungen, die am Äquator stärker auftreten, mit denen, die in höheren Breiten dominieren. Aus diesem Vergleich konnten die Astrophysiker den Unterschied der Strecke vom Mittelpunkt des Sterns bis zum Pol und der vom Mittelpunkt bis zum Äquator mit einer Genauigkeit von einem Kilometer bestimmen: Er beträgt drei Kilometer. „Kepler 11145123 ist somit das rundeste Objekt, das in der Natur je beobachtet wurde, runder noch als die Sonne“, sagt Gizon.
Der Stern ist zudem weniger abgeflacht als die Wissenschaftler auf Grund seiner Rotation angenommen hatten. Sie vermuten, dass ein Magnetfeld in niedrigen Breiten für diesen Effekt verantwortlich ist. Auf diese Weise liefert die Asteroseismologie eine Möglichkeit, magnetische Eigenschaften ferner Sterne zu untersuchen. Die Magnetfelder solcher Sterne sind direkten Beobachtungen bisher nur schwer zugänglich.
Kepler 11145123 ist nicht der einzige Stern, der geeignete Schwingungen für diese Art der asteroseismologischen Untersuchung aufweist. „Wir haben vor, die Methode auch bei anderen Sternen anzuwenden – bei solchen, die das Weltraumteleskop Kepler derzeit im Blick hat, und bei solchen, welche die geplanten Weltraumobservatorien PLATO und TESS beobachten werden“, erklärt Gizon. Vor allem werde es interessant sein zu verfolgen, wie schnellere Rotation und stärkere Magnetfelder die Gestalt eines Sterns verändern, fügt der Forscher hinzu. „Ein wichtiges Feld der theoretischen Astrophysik ist dadurch jetzt Beobachtungen zugänglich geworden“, so Gizon.