Rosetta-Komet: Abrutschende Klippe schleudert Staubwolke ins All
Die Raumsonde Rosetta dokumentiert das Abbrechen eines Steilhangstücks. An der Bruchkante gelingt es erstmals, einen Blick unter die Kometenoberfläche zu werfen.
Das Abbrechen einer überhängenden Klippe auf dem Rosetta-Kometen setzte am 10. Juli 2015 eine Staubwolke frei, die hunderte Kilometer ins All reichte. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler unter Leitung der Universität von Padova und des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in einem Artikel, den die Fachzeitschrift Nature Astronomy heute veröffentlicht. Mit Hilfe von Aufnahmen des wissenschaftlichen Kamerasystems OSIRIS und der Navigationskamera der Rosetta-Sonde gelang es den Forschern erstmals, einen Zusammenhang zwischen zwei Ereignissen dieser Art zu belegen. Ihre Analysen zeigen zudem, dass der Schauplatz der Lawine in den Tagen zuvor starken Temperaturschwankungen ausgesetzt war. Diese könnten den Erdrutsch ausgelöst haben. In einer weiteren Veröffentlichung, die heute im Fachmagazin Science erscheint, untersucht das OSIRIS-Team, wie sich das Erscheinungsbild des Kometen im Laufe der Rosetta-Mission verändert hat. Betroffen sind vor allem vereinzelte Regionen, nicht aber die grundlegende Gestalt des Körpers.
Kometen sind aktive Himmelskörper, die Fontänen und Wolken aus Staub und Gas ins All spucken. Die Rosetta-Mission der Europäischen Weltraumorganisation ESA, die den Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko von August 2014 bis September 2016 auf seinem Weg um die Sonne begleitete, konnte zahlreiche solcher Ereignisse dokumentieren und einem Ausgangsort auf der Kometenoberfläche zuordnen. Während die meisten der Staubemissionen mehrere Wochen lang zu sehen sind, gibt es andere kurze Eruptionen, die nur wenige Minuten dauern.
Neue Analysen erlauben es den OSIRIS-Forschern nun erstmals, in einem konkreten Fall das Abrutschen einer überhängenden Klippe für eine solche Stauberuption verantwortlich zu machen. Am 10. Juli 2015 fing die Navigationskamera von Rosetta ein Bild der riesigen Wolke ein: Hunderte Kilometer erstreckte sie sich ins All und enthielt mindestens 100 Tonnen Staub. Die Suche nach ihrem Ausgangsort führte zu einer Region am Rande eines ausgedehnten Beckens auf der Nordseite des größeren Teils des Kometen, der so genannten Aswan-Klippe.
OSIRIS-Aufnahmen dieser Region, die aus der Zeit vor dem 10. Juli 2015 stammen, zeigen eine schroffe Landschaft: etwa 180 Meter ragt die Aswan-Klippe in die Höhe; die Fläche darunter gleicht einem Geröllfeld. In Aufnahmen, die vor der Staubemission entstanden, klafft am Rand der Klippe ein tiefer, 70 Meter langer Riss.
Tage später zeigt sich ein dramatisches Bild: Ein beträchtlicher Teil der Klippe ist abgerutscht, die frische Bruchkante deutlich heller die umliegende Oberfläche. 99 Prozent des abgerutschten Materials finden sich als Trümmer und Brocken am Fuß der Klippe wieder. „Der Rest muss beim Lawinenabgang ins All gewirbelt worden sein“, resümiert Holger Sierks vom MPS, Leiter des OSIRIS-Teams. Die Masse wurde aus der Staubmenge aus den Aufnahmen der Navigationskamera ermittelt.
Computersimulationen der Forscher deuten darauf hin, dass starke Temperaturschwankungen in den Wochen und Tagen vor dem Erdrutsch eine entscheidende Rolle gespielt haben könnten. „Im Juli 2015 schien die Sonne phasenweise fast senkrecht auf den überhängenden Teil der Aswan-Steilwand“, erklärt Sebastian Höfner vom MPS, der die thermischen Berechnungen durchführte. Im Laufe eines Kometentages stiegen die Temperaturen dort auf etwa 60 Grad Celsius an. Das Plateau oberhalb der Klippe hingegen erhielt in dieser Zeit nur wenig Sonnenlicht und blieb mit maximal -90 Grad Celsius eiskalt. Zwar ereignete sich der eigentliche Erdrutsch zu einem Zeitpunkt, als über der Aswan-Klippe Nacht herrschte. Die Forscher gehen dennoch davon aus, dass die starken Temperaturschwankungen bereits vorhandene Risse vergrößerten, bis das Material schließlich nachgab. Ähnliche Prozesse lösen auch auf der Erde Erosionsvorgänge aus.
Die frische Bruchkante erlaubte zudem einen Blick ins sonst verborgene Innere des Kometen. „Die neue Fläche war mindestens sechsmal so hell wie der Rest der Kometenoberfläche“, beschreibt Sierks die Veränderung. Untersuchungen mit den verschiedenen Farbfiltern der OSIRIS-Kamera zeigen, dass dort gefrorenes Wasser freigelegt wurde. In den Monaten nach dem Lawinenabgang normalisiere sich die Helligkeit wieder: Das Eis war sublimiert.
In einer zweiten Veröffentlichung, die ebenfalls heute erscheint, bieten Forscher des OSIRIS-Teams einen umfassenden Überblick über die Oberflächenveränderungen, die sich seit der Ankunft der Rosetta-Sonde am Kometen im August 2014 ereignet haben. Besonders dynamisch fallen diese im August 2015 aus, als der Komet den sonnennächsten Punkt seiner Umlaufbahn passierte. In dieser Zeit war der Komet besonders aktiv.
Die Analysen belegen, dass die Aktivität auf der Oberfläche sehr unterschiedliche Spuren hinterlässt: Während in manchen Regionen – etwa am Hals des Kometen – Risse auftreten, werden an anderen Stellen riesige Brocken versetzt. Wiederum andere Veränderungen fallen gleichmäßiger aus: Die oberflächliche Staubschicht wird nach und nach abgetragen und legt darunter liegende Strukturen frei.
„Insgesamt betrachtet sind all diese Veränderungen jedoch alles andere als dramatisch“, so Sierks. Form und charakteristische Landschaften des Kometen sind auch nach der Sonnenpassage dieselben geblieben. Da der Komet auf früheren Umläufen um die Sonne ähnlich aktiv war, schließen die Forscher, dass sich sein heutiges Erscheinungsbild schon vor langer Zeit gebildet haben muss: entweder auf seinen ersten Reisen entlang der heutigen Umlaufbahn seit 1959 oder noch früher, als er noch ferner der Sonne seine Bahnen zog. In letzterem Fall müsste die Sublimation leicht-flüchtiger Gase wie etwa Kohlenmonoxid und -dioxid die Aktivität getrieben haben.
Rosetta ist eine Mission der Europäischen Weltraumagentur ESA mit Beiträgen der Mitgliedsstaaten und der amerikanischen Weltraumagentur NASA. Rosettas Landeeinheit Philae wurde von einem Konsortium unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) und der französischen und italienischen Weltraumagentur (CNES und ASI) zur Verfügung gestellt. Rosetta war die erste Mission in der Geschichte, die einen Kometen anfliegt, ihn auf seinem Weg um die Sonne begleitet und eine Landeeinheit auf seiner Oberfläche absetzt.
Das wissenschaftliche Kamerasystem OSIRIS wurde von einem Konsortium unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Zusammenarbeit mit CISAS, Universität Padova (Italien), Laboratoire d'Astrophysique de Marseille (Frankreich), Instituto de Astrofísica de Andalucia, CSIC (Spanien), Scientific Support Office der ESA (Niederlande), Instituto Nacional de Técnica Aeroespacial (Spanien), Universidad Politéchnica de Madrid (Spanien), Department of Physics and Astronomy of Uppsala University (Schweden) und dem Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze der TU Braunschweig gebaut. OSIRIS wurde finanziell unterstützt von den Weltraumagenturen Deutschlands (DLR), Frankreichs (CNES), Italiens (ASI), Spaniens (MEC) und Schwedens (SNSB).