Strahlungsgürtel des Saturn: Wo der Sonnenwind nicht weht
Die Population hochenergetischer Protonen in der Umgebung des Saturns entwickelt sich unabhängig vom Sonnenwind – und somit deutlich anders als auf der Erde.
Die Strahlungsgürtel von Erde und Saturn unterscheiden sich stärker als bisher angenommen. In diesen „Gürteln“ bewegen sich hochenergetische Teilchen wie etwa Elektronen und Protonen mit hohen Geschwindigkeiten um den Planeten herum – eingefangen von seinem Magnetfeld. Im Fall der Erde bestimmt in erster Linie der Sonnenwind, ein Strom geladener Teilchen von der Sonne, der mal stärker, mal schwächer ausfällt, auf direktem und indirektem Wege die Intensität der Strahlungsgürtel. Die Strahlungsgürtel des Saturns hingegen entwickeln sich völlig unabhängig vom Sonnenwind, werden jedoch maßgeblich von den Monden des Gasriesen beeinflusst. Zu diesem Ergebnis kommt eine Gruppe von Forschern unter führender Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in der bisher umfassendsten Studie zum Thema, die heute im Fachmagazin Nature Astronomy erscheint. Schlüssel zu den neuen Erkenntnissen sind Messungen des Instruments MIMI-LEMMS an Bord der NASA-Raumsonde Cassini, die vor ihrem Sturzflug in den Saturn am 15. September dieses Jahres mehr als 13 Jahre lang das Saturnsystem erforschte.
Die Aktivität der Sonne – und mit ihr die Stärke des Sonnenwindes – folgt einem etwa elfjährigen Zyklus. Um den langfristigen Einfluss des Sonnenwindes auf die Strahlungsgürtel eines Planeten zu untersuchen, braucht man somit einen langen Atem. „Hätte Cassini tatsächlich – wie zunächst vorgesehen – nur vier Jahre im Saturnsystem verbracht, wären wir nie zu den aktuellen Ergebnissen gelangt“, erklärt Dr. Elias Roussos vom MPS. Zum Glück wurde die Mission mehrfach verlängert. So konnte der Teilchendetektor MIMI-LEMMS (Magnetospheric Imaging Instrument – Low Energy Magnetospheric Measurement System) an Bord von Cassini die Verteilung geladener Teilchen in der Umgebung des Saturns über einen Zeitraum aufzeichnen, der einen kompletten Sonnenzyklus umfasst. „Solch umfangreiche in-situ-Daten zum Strahlungsgürtel eines Planeten gibt es ansonsten nur von der Erde“, so MPS-Forscher Dr. Norbert Krupp, der das MIMI-LEMMS-Team leitet.
Wie die Cassini-Daten zeigen, sind die Ausmaße der Protonen-Strahlungsgürtel des Gasriesen gigantisch: Sie reichen vom innersten Ring des Planeten bis zur Umlaufbahn des Mondes Tethys – und damit mehr als 285.000 Kilometer ins Weltall. Ein entscheidender Unterschied zur Erde: Während unser Mond weit außerhalb der irdischen Magnetosphäre und der irdischen Strahlungsgürtel seine Bahnen zieht, enthalten die des Saturns mehrere seiner Trabanten – etwa die großen Monde Janus, Mimas und Enceladus. „Die Saturnmonde prägen den Strahlungsgürtel entscheidend“, so Krupp. Auf die hochenergetischen Teilchen, besonders auf die Protonen, wirken sie wie eine Art Grenzwall: Jegliche Protonen, die von ihrem Entstehungsort weiter nach innen diffundieren, werden beim Zusammentreffen mit einem Mond absorbiert und somit aufgehalten. „Auf diese Weise entstehen Bereiche im Strahlungsgürtel, die fast völlig von einander isoliert sind“, so Roussos. Bei der Erde hingegen speisen vor allem Teilchen, die weiter außen entstehen und dann nach Innen wandern, den inneren Teil des Strahlungsgürtels.
Im Fall der Erde haben die hochenergetischen Teilchen, welche die Strahlungsgürtel bilden, zweierlei Ursprünge. Einige werden direkt vom Sonnenwind eingetragen. Andere lassen sich auf den Einfall kosmischer Strahlung zurückführen. Trifft diese Strahlung auf die Atmosphäre des Planeten, setzt dies eine Kette von Reaktionen in Gang, an deren Ende hochenergetische Elektronen und Protonen entstehen. Da der Sonnenwind die kosmische Strahlung teilweise abschirmt und so moduliert, spielt die Aktivität der Sonne auch bei diesem Prozess eine entscheidende Rolle.
Im Saturnsystem ist dies anders. „Zwar konnten wir bereits in den ersten Jahren der Cassini-Mission beobachten, dass der Sonnenwind dramatische Veränderungen in der Magnetosphäre des Saturns bewirkt konnte“, so Roussos. „Doch dieser direkte Einfluss endet abrupt an der Umlaufbahn des Mondes Tethys.“
Dennoch deutete zunächst alles darauf hin, dass der Sonnenwind auch die Strahlungsgürtel mitgestaltet – wenn auch nur indirekt: Die ersten Jahre der Cassini-Mission fielen mit einem Abfall der Sonnenaktivität zusammen; die Intensität der Strahlungsgürtel stieg wie erwartet an. In der Zeit von 2010 bis 2012 zeigte sich jedoch ein deutlicher Abfall der Intensität. Dieser lässt sich nicht auf den deutlich langsamer veränderlichen Sonnenwind zurückführen. Und auch Sonnenstürme, heftige Teilchen- und Strahlungsausbrüche von der Sonne, können nicht verantwortlich sein. Solche Stürme sorgen zwar auf der Erde immer wieder für einen schlagartigen Intensitätseinbruch. Wie umfangreiche Simulationen der Forscher zeigen, können sie den beobachteten, jahrelangen Abfall jedoch nicht erklären.
Die Wissenschaftler machen vielmehr energiereiche ultraviolette Strahlung, sogenannte EUV-Strahlung, von der Sonne für den Effekt verantwortlich. Diese Strahlung kann die Atmosphäre eines Planeten lokal aufheizen. Die so entstehenden turbulenten Winde übertragen diese Information in die Ionosphäre, die ihrerseits durch das Magnetfeld des Planeten die Magnetosphäre beeinflusst. Im Ergebnis verteilen sich die Protonen in den Strahlungsgürteln deutlich effizienter als sonst um. Beim Saturn treffen sie auf ihrem Weg nach Innen jedoch auf Monde, die sie sozusagen „absaugen“: Die Intensität der Strahlungsgürtel nimmt dadurch deutlich ab. „Wir beobachten, dass der Intensitätsabfall in den Protonen-Strahlungsgürteln des Saturn exakt mit starken Änderungen in der EUV-Strahlung von der Sonne zusammenfällt“, beschreibt Roussos die jüngsten Ergebnisse. Es ist also möglich, dass die Sonne dem Strahlungsgürtel des Gasriesen durchaus ihren Stempel aufdrückt – wenn auch nicht durch den Sonnenwind.
„Unsere Analysen erinnern uns zudem, wie stark die Eigenschaften der Strahlungsgürtel vom Aufbau des jeweiligen Planetensystems, also im Fall des Saturns von der Lage und Anzahl der Monde, abhängen“, so Roussos. Diese Erkenntnis könnte auch für einen Blick über den Rand des Sonnensystems hinaus hilfreich sein: Falls sich in Zukunft die Strahlungsgürtel eines Exoplaneten aufspüren lassen, könnten diese Daten indirekt auch Informationen über den Aufbau des Systems enthalten.