Riesige Wirbelstürme über Jupiters Polen
Ein Kometeneinschlag auf dem Jupiter von vor 27 Jahren macht es erstmals möglich, die Winde in der Stratosphäre des Gasriesen direkt zu messen.
In der mittleren Atmosphäre über den Polen des Jupiters toben gewaltige Stürme: Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 1450 Kilometern pro Stunde übertreffen sie selbst die stärksten irdischen Tornados um das Dreifache. Das ergaben Beobachtungen eines internationalen Teams von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, zu denen auch drei Forscher des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen zählen. Die Winde könnten auf riesige Wirbelstürme über den Polen des Jupiters hinweisen. Um die Luftbewegungen in dessen mittlerer Atmosphäre erstmals zu messen, nutzte das Team einen Trick: Mit Hilfe des Radiointerferometers ALMA in Chile spürten die Forscherinnen und Forscher den chemischen Überbleibseln des Kometen Shoemaker-Levy 9 nach, der 1994 mit dem Jupiter kollidierte. Das Team berichtet von seinen Ergebnissen in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics.
Der Jupiter ist bekannt für seine auffälligen roten und weißen Wolkenbänder. Sie sind Ausdruck stabiler Winde in Ost- bzw. Westrichtung in der unteren Atmosphäre des Gasriesen. Auch in der oberen Atmosphäre wehen starke Winde, die in Zusammenhang stehen mit den spektakulären Polarlichtern des Gasriesen. Allein die Bewegungen der farblosen Gase in der mittleren Atmosphäre, der Stratosphäre, waren bisher nicht direkt messbar und ließen sich nur teilweise und mit großer Unsicherheit in Rechnungen interpolieren.
Der Einschlag des Kometen Shoemaker-Levy 9 vor 27 Jahren bietet nun einen unverhofften Zugang zu dieser widerspenstigen Atmosphärenschicht. Durch den spektakulären Zusammenstoß entstand in der Stratosphäre des Planeten unter anderem das giftige Gas Cyanwasserstoff, auch bekannt als Blausäure. „Eigentlich würde man erwarten, dass sich der Cyanwasserstoff so viele Jahre nach dem Kometeneinschlag längst gleichmäßig in der gesamten Stratosphäre verteilt hat“, erklärt Dr. Paul Hartogh vom MPS, der an der aktuellen Studie beteiligt war. „Stattdessen zeigen unsere Beobachtungen ein ganz anderes Bild. Dies deutet auf stabile Windbänder in der Stratosphäre hin“, ergänzt der Wissenschaftler.
Um das Gas aufzuspüren, nutzte das Team unter Leitung des Laboratoire d'Astrophysique de Bordeaux das Radiointerferometer ALMA (Atacama Large Millimeter/submillimeter Array), das die Europäische Südsternwarte (ESO), das National Radio Astronomy Observatory (NRAO) in den USA und das National Astronomical Observatory of Japan (NAJO) gemeinsam in der chilenischen Atacamawüste betreiben. Die Cyanwasserstoff-Moleküle emittieren eine charakteristische Strahlung, die im Messbereich von ALMA liegt. Das Radioteleskop ist so empfindlich und misst so genau, dass die Forscherinnen und Forscher sogar kleinste Abweichungen von dieser Wellenlänge bestimmen konnten, die sich ergeben, wenn das Gas relativ zum Beobachter in Bewegung ist. Dieses als Doppler-Effekt bekannte Phänomen tritt beispielsweise auch auf, wenn ein Krankenwagen vorbeirast: Ein Passant am Straßenrand nimmt die Frequenz des vorbeifahrenden Martinshorns verschoben wahr.
Auf diese Weise zeigte sich, dass das Gas über den Polen mit hohen Geschwindigkeiten von bis zu 1450 Kilometern pro Stunde strömt. Die Verteilung der Strömungsrichtungen könnte auf einen gewaltigen Wirbelsturm hinweisen, der jeweils in der Stratosphäre über den Polen tobt. Sein Durchmesser wäre viermal so groß wie die Erde und etwa dreimal so groß wie der berühmte rote Fleck des Jupiters, ein Wirbelsturm in der unteren Atmosphäre. „Ein Wirbelsturm dieser Ausmaße wäre in unserem Sonnensystem einzigartig“, ordnet Hartogh das neu entdeckte Wetterphänomen ein.
„Dass es starke Winde über Jupiters Polen gibt, wusste man bereits“, so Hartogh. „Allerdings liegen die bisher bekannten einige hundert Kilometern oberhalb der jetzt gemessenen“, fügt er hinzu. Bisherige Rechnungen hatten ergeben, dass sich die Winde in der oberen Atmosphäre nicht in die mittlere Atmosphäre fortsetzen. „Die neuen Messdaten zeigen uns nun das Gegenteil“, so Dr. Thibault Cavalié vom Laboratoire d'Astrophysique de Bordeaux, Erstautor der neuen Studie.
Auch die Windbewegungen in der mittleren Atmosphäre über der Äquatorregion konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun bestimmen. Auch dort sind die stratosphärischen Winde mit Geschwindigkeiten von durchschnittlich etwa 600 Kilometern pro Stunde sehr stark.
„Die neuen Messungen zeigen uns, dass sich der Strahlung mit Wellenlängen im Submillimeter-Bereich wichtige und völlig neuartige Informationen über den Jupiter entlocken lassen“, so Hartogh. Die ESA-Mission JUICE, die im nächsten Jahr zum Jupiter aufbricht, wird diese Strategie weiterverfolgen. Mit an Bord trägt sie ein kleines Radioleleskop namens SWI (Submillimeter Wave Instrument), das ebenfalls auf die mittlere Atmosphäre des Jupiters blicken wird und das unter Leitung des MPS entwickelt und gebaut wird. SWI soll aus nächster Nähe die Windsysteme und die Dynamik der Jupiterstratosphäre bis auf kleinste Skalen und mit nie gekannter Präzision bestimmen.