Wiedersehen mit dem Rosetta-Kometen
Am 30. September 2016 endete die Rosetta-Mission: Die gleichnamige Raumsonde der ESA stürzte kontrolliert auf den Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko, den sie zuvor mehr als zwei Jahre lang aus nächster Nähe untersucht hatte. Seitdem fliegt der Rosetta-Komet ohne irdische Begleitung auf seiner etwa sechseinhalb Jahre dauernden Umlaufbahn um die Sonne. Anfang des Monats hat er zum ersten Mal seit Ende der Rosetta-Mission den sonnennächsten Punkt seiner Bahn erreicht und ist derzeit der Erde sehr nahe. Noch bis Ende des Monats ist der Komet mit Amateurteleskopen bis in die frühen Morgenstunden sichtbar.
Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) hat mit zahlreichen wissenschaftlichen Instrumenten zur Rosetta-Mission beigetragen. Unter anderem hat das Institut das wissenschaftliche Kamerasystem OSIRIS zur Verfügung gestellt und während der gesamten Mission betrieben. Im Interview sprechen Dr. Holger Sierks, Leiter des OSIRIS-Teams, und Kometenforscher und OSIRIS-Teammitglied Dr. Carsten Güttler über eine mögliche Wiederkehr zum Rosetta-Kometen, Kometensimulationen im Labor und das Kalibrieren von 70.000 Aufnahmen.
Laut Lehrbuch dauert ein Umlauf des Rosetta-Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko um die Sonne etwa 6,6 Jahre. Mit dieser Regelmäßigkeit sollte er somit auch seinen sonnennächsten Punkt erreichen. Allerdings hat der Komet sein diesjähriges Perihel deutlich früher, nach bereits 6,23 Jahren, erreicht. Was ist da los?
Güttler Zugegebenermaßen waren wir auch ein wenig überrascht. Doch es gibt eine einfache Erklärung. In den vergangenen Jahren sind sich 67P und der Jupiter auf ihren Umlaufbahnen sehr nahegekommen. Diese Konstellation tritt nur selten auf. Durch die Gravitationskräfte des Jupiters hat sich die Bahn des Kometen verändert.
Sierks Noch ist unklar, was das für den Kometen selbst bedeutet. Ein solches Zusammentreffen rüttelt ja nicht nur heftig an der Flugbahn des kleineren Körpers. Auch der Komet selbst ist dadurch starken Kräften ausgesetzt. Kometen sind keine festen, stabilen Kolosse, sondern haben eine sehr geringe Dichte, sie sind sehr fragil. Ich denke dabei zum Beispiel an den großen Riss, der 67P am „Hals“ durchzieht. Dieser könnte sich durchaus verändert haben.
Güttler Auch auf die Dauer der Eigenrotation oder die Neigung der Rotationsachse könnte sich die Begegnung mit Jupiter ausgewirkt haben. Letzteres würde beispielsweise die Ausprägung der „Jahreszeiten“ auf dem Kometen verändern, also wann welche Regionen wieviel Sonnenlicht erfahren. Und das wiederum könnte beeinflussen, welche Bereiche des Kometen besonders viel Gas und Staub ins All abstrahlen und so nach und nach abgetragen werden.
Derzeit laufen viele Beobachtungskampagnen, bei denen Forscherinnen und Forscher mit bodengebunden Teleskopen oder mit Weltraumteleskopen auf den Rosetta-Kometen schauen. Dabei kennen wir den Rosetta-Kometen doch so gut wie keinen anderen. Geht es bei den aktuellen Beobachtungen um die neuen Bahnänderungen?
Sierks Sicherlich auch, aber nicht nur. Denn eigentlich wissen wir ja noch gar nicht so viel. Vor Rosetta waren Kometenmissionen Vorbeiflüge; die Messdaten zeigten eine kurze Momentaufnahme. Rosetta hat „ihren“ Kometen dagegen mehr als zwei Jahre lange begleitet und konnte verfolgen, wie er auf seinem Weg zum Perihel zunehmend mehr Gas und Staub emittiert hat und danach wieder ruhiger wurde. Dennoch sind auch diese zwei Jahre nur ein winziger Bruchteil im Leben eines Kometen. Viele Fragen dazu, wie sich Kometen im Laufe ihres „Lebens“ entwickeln und verändern, sind noch offen. Auch die genaue Beschaffenheit und Zusammensetzung des Kometenmaterials kennen wir noch nicht. Aus diesem Grund gibt es Pläne, mit einer Raumsonde zu 67P zurückzukehren und von dort eine Bodenprobe mit zur Erde zu bringen.
Sie meinen die Mission CAESAR der NASA. Was ist da der aktuelle Stand?
Sierks Vor zwei Jahren wurde die Mission leider nicht ins New Fronteers Programm der NASA aufgenommen; der Mission Dragonfly, die auf dem Saturnmond Titan landen wird, wurde der Vorzug gegeben. CAESAR hat es aber bis in die Endrunde geschafft und ist als exzellent befunden worden. Das gesamte Team, zu dem auch Carsten und ich als Co-Investigatoren zählen, arbeitet nun weiter daran, das Missionskonzept zu verbessern und zu verfeinern. Wir hoffen sehr, dass CAESAR in der nächsten New Frontiers Runde (NF5) bestätigt wird.
Warum soll diese Mission ausgerechnet den Rosetta-Kometen ansteuern?
Sierks Den Rosetta-Kometen, seine genaue Form und Aktivität kennen wir so gut wie keinen anderen. Das macht es deutlich wahrscheinlicher, dass eine erneute Landung klappt und sich die Probenentnahme erfolgreich umsetzen lässt. Und auch wissenschaftlich wäre eine so genannte Sample Return Mission ein Glücksfall. Schließlich erlauben die Messdaten der Rosetta-Mission, die Bodenprobe in einen größeren Kontext zu setzen.
Missionen, die Asteroidenmaterial zur Erde bringen, hat es bereits gegeben: Die japanischen Hayabusa-Sonden haben erfolgreich Bodenproben der Asteroiden Itokawa und Ryugu genommen. Und die NASA-Sonde OSIRIS-Rex ist mit ihrer Probe vom Asteroiden Bennu derzeit auf dem Rückweg zur Erde. Warum steht eine solche Mission zu einem Kometen noch aus?
Güttler Das hat mehrere Gründe. Anders als bei Asteroiden ist die Bahn von Kometen sehr exzentrisch. Das heißt im Fall von 67P, dass der sonnenfernste Punkt seiner Umlaufbahn 4,5 Mal so weit von der Sonne entfernt ist wie der sonnennächste Punkt. Wenn 67P der Sonne – und somit der Erde – recht nah ist, bewegt er sich zudem sehr schnell. Kometen sind dadurch im Allgemeinen nur mit deutlich größerem Aufwand zu erreichen als Asteroiden. Bei der Rosetta-Mission etwa hat die Anreise zehn Jahre gedauert. Das verursacht natürlich immense Kosten. Zum anderen spielt die Probe selbst eine Rolle. Asteroiden sind in der Regel trocken, Kometen hingegen ein Gemisch aus verschiedenen, tiefgekühlten Eisen – zum Beispiel Wasser und CO2 – und Staub. Da muss man sich genau überlegen, wie man dieses Gemisch möglichst unverändert zur Erde bringt. Spätestens beim Wiedereintritt in die Atmosphäre, würden die gefrorenen Gase ja schmelzen oder sublimieren, wenn man sie nicht aufwändig kühlt.
Wie löst CAESAR dieses Problem?
Güttler Bei CAESAR sollen die Gase und die staubigen Bestandteile bereits während des Fluges voneinander getrennt werden. Auf der Erde angekommen werden dann beide getrennt analysiert.
Sierks Wie bei OSIRIS-Rex soll die Probe durch ein Touch-and-go-Manöver, also mit nur sehr kurzem Kontakt zur Oberfläche gesammelt werden. Das dauert nur einige Sekunden. Dabei ist es wichtig, möglichst schonend vorzugehen, damit die Morphologie, also die genaue Beschaffenheit der Staubteilchen, erhalten bleibt. Sie erlaubt uns Rückschlüsse auf Entstehung und Entwicklung der Kometen. Viel spricht dafür, dass Kometenstaub ausgesprochen fluffig ist. Diese fragilen Strukturen sollten bei der Probenentnahme und beim Transport zur Erde möglichst erhalten bleiben.
Wie muss man sich Kometenstaub genau vorstellen?
Güttler Wir gehen davon aus, dass einzelne mikroskopische Staubteilchen zunächst lockere Agglomerate bilden, die nur einige Millimeter oder Zentimeter groß sind. Das geschieht durch Oberflächenkräfte, sie kleben also förmlich zusammen. In einem späteren Schritt finden sich diese Agglomerate, letztlich durch Gravitation, zu einem Kometen zusammen. Das ist jedoch schon 4,6 Milliarden Jahre her und vieles verstehen wir noch nicht im Detail. Beispielsweise die Aktivität des Kometen, wenn er sich der Sonne nähert. Es ist noch unklar, wie das sublimierende Gas aus den oberflächennahen Schichten des Kometen die Staubcluster mit ins All reißt. Nach unserem bisherigen Verständnis der Kräfte, die da am Werk sind, dürfte das gar nicht funktionieren. Dennoch sehen wir in Kameraaufnahmen von Rosetta diese Staubfontänen deutlich. Sie reichen zum Teil viele Kilometer weit ins All. Um diese Vorgänge besser zu verstehen, führen wir am MPS im Rahmen des Forschungsverbundes CoPhyLab derzeit Laborexperimente durch.
Wie funktioniert das?
Güttler Zunächst geht es uns um ganz Grundlegendes. Wir wollen verstehen, wie sich das vom Kometen entweichende Gas seinen Weg durch die oberste Staubschicht bahnt. Welche Kräfte wirken da, welcher Druck entsteht? Dafür haben wir diese Schicht nachgebaut – zunächst stark idealisiert. In unserem Experiment simulieren wir den Kometenstaub durch winzige Stahlkügelchen. Durch diese wird ein Gas geleitet und wir messen, welcher Druck dafür erforderlich ist. Das hört sich vielleicht recht einfach an. Aber wir versuchen diesen Prozess mit zusätzlichen Computersimulationen bis hinunter auf das einzelne Gasmolekül genau zu verstehen. Letztlich wollen wir lernen, wie diese Gasmoleküle die Staubcluster – oder halt Stahlkügelchen – anheben und mitreißen. Das ist dann schon nah dran an der Aktivität eines Kometen. All das hilft uns, die Messdaten der Rosetta-Mission besser zu verstehen und einzuordnen.
Werden die Messdaten von Rosetta noch immer ausgewertet?
Sierks Auf jeden Fall. Allein OSIRIS hat knapp 70.000 Aufnahmen des Kometen gemacht. Da ist auch fünf Jahre nach Ende der Mission sehr vieles, aber längst noch nicht alles ausgewertet. Beispielsweise zeigen viele Aufnahmen Gasfontänen, die vom Kometen ins All entweichen. Da diese Aufnahmen durch verschiedene Filter der Kamera gemacht wurden, sind Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Gase möglich. Dem sind wir bisher noch nicht genauer nachgegangen. Das Rosetta-Instrument ROSINA hat die Zusammensetzung des Gases durch in situ-Messungen analysiert. Solche Daten beschränken sich aber naturgemäß immer auf einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit. Die OSIRIS-Daten könnten die ROSINA-Messungen in einen größeren, den ganzen Kometen betreffenden Zusammenhang stellen.
Güttler Die Daten der Rosetta-Mission sind einzigartig und werden auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten von unschätzbarem Wert sein. Auch wenn künftige Kometenmissionen neue Messdaten sammeln, werden die Rosetta-Daten die Referenz sein. Schließlich geht es uns ja nicht nur darum, einzelne Kometen möglichst gut zu erforschen, sondern diese Klasse von Himmelskörpern als Ganzes besser zu verstehen. Deshalb wird es immer wichtig sein, Daten verschiedener Missionen und Beobachtungskampagnen zu einander in Beziehung zu setzen. Wir haben deshalb in den vergangenen zwei Jahren daran gearbeitet, die kompletten OSIRIS-Daten aufzuarbeiten und für alle Forscherinnen und Forscher in noch besserer Form zugänglich und nutzbar zu machen. Diese Arbeiten sind jetzt abgeschlossen.
Was war da zu tun?
Güttler Damit die Aufnahmen von OSIRIS möglichst aussagekräftig sind, müssen sie so gut wie möglich kalibriert sein. Das betrifft zum einen die Helligkeit der einzelnen Pixel. Wir möchten sicherstellen, dass die Helligkeit jedes Bildpunktes für eine exakte Lichtmenge, die von einer Stelle des Kometen reflektiert wird, steht. Nur so kann man die Aufnahmen später richtig interpretieren. Deshalb haben wir OSIRIS hochgenau kalibriert. Dafür nutzen wir OSIRIS-Aufnahmen von Sternen, deren Helligkeit sehr genau bekannt ist. Mit diesen kann man genau herausfinden, wie die OSIRIS-Kamera auf eine bestimmte Lichtmenge reagiert und wie sich dies dann in den Aufnahmen niederschlägt.
Gibt es weitere Herausforderungen bei der Kalibration?
Güttler Natürlich. Die genaue Geometrie in den Aufnahmen zu interpretieren, ist sehr anspruchsvoll. Schließlich wollen wir für jedes einzelne Pixel im Bild wissen, wo genau es sich im Raum befindet. Das wird erschwert durch die komplexe Form des Kometen. Zudem bewegt sich die Raumsonde; der Komet dreht sich. Das ist sehr aufwändig auszurechnen. Zudem ist es wichtig zu wissen, unter welchem Winkel das Sonnenlicht einfällt. Nur so lassen sich die hellen und dunklen Bereiche richtig interpretieren. Sind das Schatten? Oder Strukturen? Diese Informationen haben wir nun für jede Aufnahme berechnet und stellen sie zusammen mit den Bilddaten zur Verfügung. Alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können die OSIRIS-Daten nun für weitere Studien einfach nutzen. Die so kalibrierten OSIRIS-Daten bilden jetzt den zentralen Teil des Vermächtnisses der Rosetta-Mission.